Falkenjagd
Zahlen und Buchstaben nach.
Lesen und Schreiben konnte sie immer noch nicht, dafür rechnete sie
schneller im Kopf als manche der Juden, die die Frau Wünschin zu
respektieren lernten.
Elisabeth war weder prunksüchtig noch
verschwenderisch. Sie ließ sich wenige, aber schöne Kleider nähen, und
auch das nur mit dem Ziel, dem Markgrafen zu gefallen. Ihre eigentliche
Lust bestand in der Vorstellung, dass irgendwo in den Gewölben der
Frankfurter Rothschilds Säcke voller Goldstücke lagerten, die allein
ihr gehörten und auf die auch der Markgraf keinen Zugriff mehr hatte.
»Hast Du die Körbe mit den Krebsen bekommen, das gepökelte
Fleisch und das Mehl?«
Die Frage des Markgrafen kam überraschend und schreckte sie
aus ihren Gedanken hoch. Sie lag schon im Bett, und er zog sich gerade
aus.
»Das schon. Aber fünf Schweinehälften haben gefehlt, und
genügend Bier ist auch nicht mehr da«, antwortete sie schnell.
Er brummte, dass er den Verantwortlichen auspeitschen lassen
würde. Sie hörte, wie er einen langen, scheppernden Strahl in den
Nachttopf pinkelte und dabei leise aufstöhnte. Dann schlurfte er zum
Bett und legte sich wortlos neben sie. Er rührte sie nicht an.
Irgendwann schlief er ein, sie dagegen blieb wach. Wieder kroch die
Angst in ihr hoch. Das war das erste Mal, dass er nicht gleich in der
Nacht seiner Ankunft mit ihr schlief. Was war geschehen? Warum mied er
sie? Gefiel sie ihm nicht mehr, war er ihrer überdrüssig? Als es
draußen schon hell wurde, fiel auch Elisabeth in den Schlaf, doch das
auch nur, weil der Gedanke an ihre mit vielen Vorräten gefüllten
Speisekammern, die langen Reihen mit geräucherten Würsten und Schinken,
die Säcke voller Mehl, der Keller voller Kraut, Rüben und Topinambur
sie etwas tröstete.
Der Markgraf brach mittags wieder auf. Er
verabschiedete sich hastig, schaute ihr kaum in die Augen, umarmte aber
den Buben voller Liebe. Er wollte in Triesdorf nach dem Rechten schauen
und auf Falkenjagd gehen. Dann müsste er weiter nach Schwaningen zur
Markgräfin, die ihm zu Ehren ein Festessen gab.
Erst als Elisabeth am Abend wieder ins Bett ging, bemerkte
sie, dass die Seite, auf der der Markgraf geschlafen hatte, besonders
in der Mitte mit merkwürdigen Flecken übersät war.
Der Winter hatte sich in diesem Jahr länger
als sonst hingezogen. Das Heu reichte nicht mehr für das Vieh, das
deshalb viel brüllte. Im April schneite es noch einmal, der Schnee
blieb liegen, und das frische Gras kam nicht durch. Dabei hatte man so
sehr für ein besseres Jahr gebetet. Bereits drei Ernten hintereinander
waren schlecht ausgefallen. Zuerst war ein verregneter Sommer schuld
gewesen. Im darauffolgenden Juni hagelte es so heftig, dass die Halme
zu Boden gedrückt und die Körner herausgeschlagen wurden. Im nächsten
Mai kamen Käfer, wahrscheinlich von den Welschen oder Bayreuthern, die
man nicht kannte, und fraßen alles ab. Die Kühe blieben mager und
knochig. Die Schweine rauften sich um jede einzelne Eichel im Wald, und
die Menschen aßen Rüben, bis sie Bauchkrämpfe bekamen.
Vielleicht hing das ganze Unglück ja auch mit dem Tod des
kleinen Erbprinzen zusammen. Hatte sich die Markgräfin tatsächlich
nicht gut genug um ihn gekümmert, wie der Markgraf damals geschrien
hatte, oder waren die Juden schuld, die vom Markgrafen so gut behandelt
wurden, als wären sie ordentliche Christenmenschen? Die Menschen, die
immer dünner und grauer im Gesicht wurden, rätselten jetzt viel über
solche Zusammenhänge. Noch jungen Frauen fielen die Zähne aus, obwohl
sie extra Brennnesselsud tranken. Viele hatten kaum genug Milch, um
ihre Kinder zu stillen. Burschen, die sonst mit ein paar kräftigen
Schlägen einen Baum gefällt oder an einem einzigen Nachmittag ein
Viertel Feld gemäht hatten, wurden jetzt schnell müde. Der Markgraf
ließ jeden Abend am Schlosstor Brotlaibe verteilen, aber es reichte
nie. Ein winziges Stück Schweinespeck kostete so viel wie ein Paar
feine französische Pantoffeln, und Bürgerstöchter hurten für ein paar
Würste. Arme Leute verscharrten vor Scham ihre verhungerten Kinder,
andere, so munkelte man, aßen sie auf.
Während die Schwaninger Dorfbewohner bei
Friederikes erstem Besuch noch finster geschaut hatten, zeigte sich
kein Mensch mehr auf der Straße oder vor dem Schloss, als sie ein Jahr
nach dem Tod ihres Kindes wiederkam. Diesmal, so teilte sie ihrem
Hofstaat mit, bliebe sie für ein paar Wochen, vielleicht sogar Monate.
Hofbaumeister Retty hatte
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