Falkensaga 01 - Der Schrei des Falken
ihren Mittagsschlaf.
Vor den Stadtmauern angekommen, sahen sie, dass die Zitadellenwache bereits die Befehle der Elbin ausführte. Zwei von ihnen standen neben einem dichten Gestrüpp, in dem sich offenbar der Tunnelausgang verbarg; am Osttor musterten andere aufmerksam jeden, der die Stadt verließ.
Alduin und Erilea erreichten die Hochfläche hinter den Klippen, die mit dichtem Gras bewachsen war, und entdeckten eine Senke, die ihnen ein wenig Schutz vor der starken Meeresbrise bot, die seit dem Vormittag wehte. Auf dem weichen Boden konnten sie entspannt auf dem Rücken liegen und den Wolkenfetzen nachschauen, die am kobaltblauen Himmel dahinzogen. Es war ein Nachmittag zum Faulenzen.
Alduin ließ Rihscha fliegen, legte sich dabei dicht neben Erilea, sodass ihr Kopf auf seinem ausgestreckten Arm ruhen konnte. Er schloss die Augen und stieg mit seinem Falken in die Lüfte.
»Was siehst du?«, fragte Erilea leise.
Alduins Gedanken kehrten auf die Erde zurück, er wandte den Kopf und schaute sie erstaunt an. »Ich ... ich bin nicht sicher, ob ich ...«
»Versuche es doch einfach«, ermunterte sie ihn. »Erzähle mir nur immer, was du siehst, und denke nicht darüber nach. Vielleicht ist es ja doch möglich.«
»Gut, ich versuche es«, sagte er und schloss wieder die Augen. Ein paar Momente lang geschah nichts, doch dann flossen ihm die Worte aus dem Mund.
»Ich lasse mich von einer Böe über die Bucht tragen. Die Sonne wärmt mein Gefieder, ich schwebe in der Stille. Ich drehe ab und fliege auf eine kleine Gruppe von Fischerbooten zu, die auf dem Wasser schaukelt. Ein paar Männer ziehen die vollen Netze an Bord, andere nehmen die Fische aus und werfen die Abfälle meinen Vettern, den Möwen, zu, die sich mit lautem Gekreische um das Futter streiten. Wieder ändere ich den Kurs und lege die Flügel eng an, lasse mich im Sturzflug hinabfallen, drehe erst knapp über der Wasseroberfläche ab und streiche über sie hinweg. Die Wellenkämme rasen unter mir vorbei. Ich sehe Fischflossen aus dem Wasser ragen. Schon sind sie wieder untergetaucht. Oh! Das ist ja unglaublich! Wunderschön!«
Erilea richtete sich überrascht auf und blickte auf Alduin hinunter. Er lag mit geschlossenen Augen neben ihr, ein frohes Lächeln auf dem Gesicht, und stieß einen überraschten Ausruf nach dem anderen aus. Sie fühlte sich zwischen Ärger und Neid hin und her gerissen; am liebsten hätte sie ihn kräftig durchgeschüttelt, aber das wäre doch kindisch gewesen. Sie stand auf, trat an die Felskante und hoffte einen Blick von dem zu erhaschen, was Rihscha und Alduin offenbar sahen. Draußen auf dem Meer nahm sie eine Bewegung wahr, aber sie war zu weit entfernt, um Einzelheiten erkennen zu können. Erilea seufzte, hockte sich wieder neben Alduin auf den Boden und starrte auf die Bucht hinaus. Sie war so sehr in ihre Gedanken versunken, dass sie geraume Zeit gar nicht bemerkte, dass Alduin nichts mehr sagte. Sie spürte seinen Blick und wandte sich zu ihm um. Er betrachtete sie mit einer Mischung aus Belustigung und Verwirrung. Von einem plötzlichen Impuls überwältigt, der stark, wunderbar und unwiderstehlich war, legte sie sich neben ihn, doch so, dass ihr Kinn auf seiner Brust ruhte und sich ihr Arm um seinen Körper schlang.
»Erzähle: Was hast du gesehen?«
»Es war erstaunlich. Plötzlich schoss ein Dutzend schlanker grauer Körper aus dem Wasser, direkt vor uns. Wie sie hochschnellten, im Bogen durch die Luft flogen und wieder eintauchten! Rihscha war völlig überrascht; er musste die Flügel nach vorn reißen und senkrecht aufsteigen, um nicht mit ihnen zusammenzustoßen. Aber dann folgte er ihnen, während sie durch die Bucht schwammen und immer wieder mit unglaublicher Schnelligkeit aus dem Wasser schossen und erneut abtauchten. Unbeschreiblich. Weißt du, was das für Tiere gewesen sein könnten? Sie sahen aus wie riesige Fische, aber irgendwie waren sie doch keine. Ich meine, sie lachten und riefen einander und es klang wie Kinderstimmen ...«
»Die Elben nennen sie Crlim , das heißt Schiffsfische, weil sie besonders gern neben Segelschiffen herschwimmen. Aber sie sind eigentlich keine Fische, sondern Säugetiere. So hat man mir das jedenfalls beigebracht«, erklärte Erilea. »Ich habe sie ein paar Mal von weitem gesehen, aber noch nie aus der Nähe. Die Fischer halten sie für Zauberwesen. Es ist, als könnten sie uns Menschen verstehen und als wollten sie unsere Freunde sein.«
»Sie sind wunderschön«,
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