Falkensaga 01 - Der Schrei des Falken
überhaupt wagen soll, Alduin nach Sanforan zu bringen. Alles ist so anders geworden. Ich fühle mich richtig verloren ...«
»Mach dir keine Sorgen, Mutter, es wird uns bestimmt nichts passieren«, versuchte Alduin sie zu beruhigen. »Jetzt sind wir gewarnt und werden wachsamer sein, damit sich so etwas nicht wiederholt.«
»Aber wie kann man so leben!«, sagte Aranthia zögernd. »War es richtig, dich so fern von allem und so unvorbereitet aufwachsen zu lassen? Natürlich wusste ich, dass ich dich nicht ewig zu Hause halten könnte, aber im Laufe der Zeit wurde die Kluft immer größer und von Tag zu Tag fiel es mir schwerer, unser Haus zu verlassen ...«
»Ihr hattet ein wenig Pech, das stimmt«, meinte Bardelph ruhig. »Aber auch in der besten Ernte findet man ab und zu ein paar verfaulte Äpfel. Die muss man nur einfach herausklauben. Im Grunde ist Euch doch längst klar, dass Sanforan für Alduin das Beste ist.«
»Gestern wart Ihr aber noch anderer Meinung«, entgegnete Aranthia.
»Stimmt, ich hatte zuerst meine Zweifel, aber jetzt nicht mehr. Er muss richtig ausgebildet werden. Vor ihm und Rihscha liegt eine große Zukunft, Ihr werdet schon sehen.« Er lächelte Aranthia aufmunternd zu. »Außerdem denke ich, dass es mir nicht schaden kann, selbst wieder mal nach Sanforan zu gehen«, fuhr er fort. »Wenn Euch meine Gesellschaft nicht allzu lästig erscheint, würde ich mit Euch gehen.«
»Das wäre doch wunderbar!«, rief Alduin aus. »Ich hab noch so viele Fragen ...«
»Alduin! Bardelph hat schon so viel für uns getan ...«
Aber trotz ihrer Worte war ihr die Erleichterung deutlich anzusehen. Sie sah den Raiden offen an. »Wir würden uns sehr freuen ... und wären Euch dankbar. Seid Ihr denn sicher, dass sich die Reise für Euch lohnt?«
»Aus Arekfellen kann man elegante Umhänge schneidern, und die sind genauso beliebt wie Wintermäntel«, antwortete er. »Und wahrscheinlich bekomme ich in der Stadt sogar noch einen besseren Preis dafür.«
Bardelphs Freunde waren gern bereit ihm bei den Reisevorbereitungen zu helfen; sie beschlossen, dass Cartos Wagen samt den beschlagnahmten Waren den dreien gehören sollte. Man beschaffte ein neues Rad und die Männer machten sich auf den Weg zum liegen gebliebenen Wagen des Diebes. Schon nach kurzer Zeit hatten sie ihn wieder fahrbereit gemacht, doch da das Pferd längst über alle Berge war, blieb ihnen nichts anderes übrig, als ihn zurück zum Dorf zu ziehen. Bardelph belud ihn mit Kisten, Nahrungsmitteln, Aranthias und Alduins Gepäck, Rihschas Korb und Cartos wertvollsten Waren: einer Sammlung wunderbar verzierter Dolche, ein paar Töpfen mit Gewürzen und verschiedenen Hals- und Armbändern aus Bergkristall.
»Wenn Ihr das alles verkauft, könnt Ihr damit Euren Aufenthalt in der Stadt bezahlen«, rief Ronayd aus, als er die wertvolle Ladung sah.
Aranthia nickte dankbar, denn als Ersatz für das Pferd hatte sie ein Maultier kaufen müssen und dabei erschrocken festgestellt, wie wenig sie für ihr Geld noch bekam. Zwar waren der Wirtin die Geschehnisse so unangenehm gewesen, dass sie für das Zimmer und die Verpflegung kein Geld annehmen wollte, aber Aranthia dachte an die Hand voll alter Münzen, die ihr gesamtes Vermögen darstellte, und fragte sich, wie lange sie damit in Sanforan wohl auskommen würde. Je schneller sie dort ankamen und sich eine klare Vorstellung verschafften, was dort auf sie wartete, desto besser.
Dies und jenes war noch zu besorgen, doch am frühen Nachmittag konnten die drei endlich von Lemrik aufbrechen, verfolgt von herzlichen und aufmunternden Rufen »Gute Reise!«, »Kommt bald wieder!«. Das Maultier gehörte nicht mehr zu den jüngsten, aber es war gutmütig und kräftig, sodass sie gut vorankamen. Die viel befahrene Straße führte an einigen abgelegenen Bauernhäusern vorbei, die von frisch gepflügten Feldern umgeben waren. Ein erdiger, würziger Geruch lag in der Luft und alles schien auf die Frühjahrssaat zu warten. Alduin saß zwischen den beiden auf dem Kutschbock und hoffte sehnsüchtig, dass Bardelph ihm einmal die Zügel übergeben würde, traute sich aber nicht zu fragen. Staunend dachte er daran, was er auf der kurzen Reise schon erlebt hatte. Waren sie wirklich erst gestern Morgen von zu Hause aufgebrochen? Kaum zu glauben. Er drehte sich zu Rihschas Korb um und schnappte entsetzt nach Luft, als er sah, dass der Korb umgestürzt und der Deckel aufgeklappt war. Der kleine Falke streckte neugierig
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