Falkensaga 01 - Der Schrei des Falken
ohne den Deckel daraufzusetzen. Erst jetzt untersuchte er seine Hand und bemerkte, dass Rihschas Krallen ihm durch die Haut geschnitten hatten. Die Abdrücke fielen ihm ein, die die Klauen der Falkenmutter auf seinem Arm hinterlassen hatten. Als er den Ärmel hochkrempelte, waren sie so deutlich zu sehen, als seien sie eben erst eingeprägt worden, obwohl er immer wieder daran gerieben hatte. Plötzlich bemerkte er, dass seine Mutter entsetzt auf sein Handgelenk starrte. Sie sagte nichts, schüttelte aber den Kopf. Doch auf ihrem Gesicht lag ein schicksalergebener Ausdruck. Es war, als fände sie sich allmählich mit etwas Unvermeidbarem ab, von dem Alduin aber nichts ahnen konnte.
Sie fuhren weiter, bis die Sonne den Horizont berührte. Nebelschwaden woben ihre Bahnen zwischen den vereinzelten Fichten, die bald zu einem dichten Wald anwuchsen. Als dann die Sonne unterging, war der Nebel so dicht geworden, dass sie kaum noch weiter als bis zum Waldrand auf beiden Seiten der Straße sehen konnten. Gedämpft und unheimlich klangen die Maultierhufe durch die Nacht. Doch Bardelphs Gehör war scharf; er vernahm das Plätschern eines nahen Baches, das wie das hämische Gelächter von Waldgeistern klang. Er lenkte den Wagen in einen Seitenweg und kurz darauf erreichten sie eine kleine Lichtung, die von der Straße aus kaum zu sehen gewesen war.
Er zügelte das Maultier. »Bin froh, dass ich diese Abzweigung nicht verpasst habe. Erstaunlich, wie gut man sich sogar nach vielen Jahren noch an gewisse Plätze erinnern kann.«
Er sprang vom Bock und half Aranthia beim Absteigen. Alduin schwang die Beine über die Seitenwand und kletterte herunter. Sie streckten ihre Glieder und atmeten tief die feuchte, nach Erde und Moos duftende Luft ein. Dann liefen sie zum Bach und tranken von seinem kühlen, erfrischenden Wasser. Als sie ihren Durst gelöscht hatten, packten sie alles für das Nachtlager aus. Aranthia und Alduin sollten auf dem Wagen schlafen.
»Ich habe schon viel unbequemere Nächte verbracht als hier auf dem Waldboden«, versicherte ihnen Bardelph. »Aber für Euch, Aranthia, gibt es keinen Grund, auf dem Boden zu schlafen, und für dich auch nicht, Alduin.«
Er ließ keinen weiteren Widerspruch zu und schickte Alduin los, so viel trockenes Holz einzusammeln, wie er finden konnte, während er selbst mit der Axt ein paar stärkere Holzstücke zu zerhacken begann, die man für Reisende hier aufgestapelt hatte.
»Wer hat das Holz aufgeschichtet?«, fragte Alduin, als er zurückkam, die Arme voller Äste und Zweige.
»Das waren sicherlich die hiesigen Holzhacker«, meinte Bardelph. »Das ist hier ein weit verbreiteter Brauch, wenn Bäume gefällt werden. Sie hacken dann ein paar Äste ab und schichten sie an möglichen Rastplätzen auf.«
Alduin nickte nachdenklich. »Finde ich gut, dass die Leute einander helfen, auch wenn sie sich gar nicht kennen. Macht man das überall so?«
»Da muss ich erst mal überlegen«, sagte Bardelph und zauste seinen Bart. »Ich glaube, es ist vor allem in Gegenden der Brauch, in denen nur wenige Menschen leben. Dort lassen Reisende auch manchmal Zeichen an den Stellen zurück, an denen es gefährlich ist, eine Schlucht oder einen Fluss zu überqueren, oder sie markieren Abkürzungen. Ein roter Stofffetzen bedeutet Gefahr und ein weißer kennzeichnet einen sicheren Weg.«
Er hatte inzwischen aus seinem Gepäck die Zunderbüchse herausgekramt und machte sich daran, ein Lagerfeuer zu schüren. Als die Flammen hochloderten, stellte er einen eisernen Dreifuß darüber, hängte einen Kochkessel auf und warf ein großes Stück Fett hinein. Es schmolz sofort und begann zu zischen. Aranthia hatte ein paar Frühzwiebeln und verschiedene Wurzeln klein gehackt, die sie in den Topf warf und für kurze Zeit im Fett dünstete. Schließlich gab sie Trockenfleischstücke hinzu, die sie zuvor in einer Brühe aus Kräutern und Salz aufgeweicht hatte. Sie ließ die Zutaten eine Weile im Kessel brutzeln, goss dann die Brühe darüber und ließ den Eintopf langsam garen. Alduins Magen knurrte laut und das Wasser lief ihm im Mund zusammen, als ihm der würzige Duft in die Nase stieg. Er setzte sich auf den hinteren Rand der Wagenpritsche und fütterte Rihscha mit ein paar kleinen Fleischabfällen.
»Sein Vater war also auch ein Falkner?«, fragte Bardelph Aranthia, die neben ihm am Feuer saß und ab und zu den Eintopf umrührte.
Sie nickte schweigend.
»Vielleicht habe ich ihn gekannt, als ich
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