Falkensaga 01 - Der Schrei des Falken
zwei Hälften auseinander fiel. Wilde Aufregung schoss durch seinen Körper; in diesem Moment hätte er alles gewagt, keine Aufgabe erschien ihm für seinen Falken und sich selbst zu groß!
»Gut, Alduin und Rihscha«, sagte Calborth, der ruhig zu ihnen ging. »Und jetzt nimm ihn mit ins Freie! Genießt die Sonne! Rael, ich helfe dir mit Sivella.«
Alduin trat stolz in den Hof hinaus. Drei oder vier andere Jungen folgten ihm mit ihren Falken auf den Fäusten. Rihscha unterschied sich in der Tat deutlich von den Ithilfalken. Er war nicht nur größer als sie, sondern auch sein dunkles grün-blaues Gefieder hob sich von dem weichen Braun der anderen Vögel ab. Doch Alduin konnte sehen, dass die anderen Jungen nicht weniger stolz und glücklich waren als er selbst. Ein paar Augenblicke später kam auch Rael mit Sivella heraus und gemeinsam gingen sie langsam im Hof herum, wobei sie immer wieder stehen bleiben mussten, weil sich die Vögel plötzlich reckten und mit den Flügeln zu schlagen anfingen.
Calborth kam mit dem letzten Jungen aus der Bruthalle und rief sie alle zusammen.
»Die Falken können jetzt noch nicht davonfliegen«, erklärte er. »Lasst sie deshalb die Schwingen spannen, sooft sie wollen. Sie klammern sich selbst fest und werden schon nicht herunterfallen, keine Angst.«
Seine tiefe Stimme hallte über den Hof. Wunand- und Onur-Schüler liefen aus der gesamten Zitadelle herbei und aus den umstehenden Häusern lehnten sich die Leute, um zuzusehen. Alle wussten, wie bedeutsam dieser Tag war, und manche klatschten Beifall, doch nur leise, um die Vögel nicht zu erschrecken. Alduin wünschte sich, dass Aranthia hier wäre, um ihn zu sehen, aber als er Bardelph entdeckte, fühlte er sich fast so glücklich, als wäre seine Mutter gekommen.
»Gut gemacht, Alduin und Rihscha«, sagte sein alter Freund.
Alduin bemühte sich nicht zu laut und aufgeregt zu klingen. »Bardelph! Schön, dich wieder zu sehen! Wie gehts dir und wo warst du?«
»Eins nach dem anderen, mein Junge. Lass dich von mir nicht ablenken! Das ist ein großer Augenblick für dich und Rihscha. Wir sehen uns zur vierten Glocke. Jungfer Calborth hat mich eingeladen, am Mittagessen teilzunehmen.«
Bardelph ging zum Falkenmeister hinüber, sprach kurz mit ihm und verschwand dann in der Bruthalle.
»Nun, das ist wirklich ein prächtiger Falke. Viel zu gut für jemanden wie dich, meine ich.« Alduin erschrak, als er plötzlich Lotans verächtliche Stimme hinter sich hörte. Rihscha krächzte verärgert, plusterte die Flügel auf und trat beunruhigt von einer Klaue auf die andere, sodass Alduin große Mühe hatte, den Arm ruhig zu halten.
»Oh ja, das ist ein Wildfang! Der wird davonfliegen, sobald er den ersten Wind unter den Flügeln spürt«, zischte Lotan spöttisch, wandte sich ab und beglückwünschte die anderen Jungen besonders laut zu ihren prächtigen Vögeln.
»Was hast du denn angestellt, dass Lotan zu dir so feindselig ist?«, fragte Rael.
»Ich? Nichts. Aber er hält mich eben für einen Bauernlümmel und ein Halbblut. Sicher ist er neidisch auf mich, weil ich trotzdem schon einen Bund mit einem Falken habe. Er hat das nie geschafft, obwohl er als Raide die Ausbildung zum Falkner hat. Er wird mich nie mögen. Jetzt hofft er, dass ich nie im Bund mit Rihscha fliegen werde. Vielleicht hat er sogar Recht - nicht mal Calborth ist sicher, dass es klappt.«
»Du meinst ... aber bestimmt ...«, stotterte Rael.
Alduin zuckte die Schultern. Schnell wechselte er das Thema, um nicht in dieser düsteren Stimmung zu versinken. »Sivella sieht in der Sonne wunderschön aus. Diese Silberstreifen auf ihren Flügeln, und wie sich die Kammfedern aufstellen!«
»Die Farbe ist gut, aber der Schopf nicht. Da wachsen die Federn irgendwie komisch, ich weiß nicht, warum.«
»Nun, jedenfalls sieht sie geradezu königlich aus!«
Die Zuschauer verliefen sich allmählich und bald war es Zeit für die Jungen, die Falken in ihre Käfige zurückzusetzen. Zur Belohnung bekamen die Vögel nicht nur stolze Worte zu hören, sondern auch besonders saftige Fleischstückchen.
Beim Mittagessen herrschte aufgeregte Stimmung. Wie es schien, saßen Raiden, Onur und Wunand zum ersten Mal bunt gemischt an den Tischen und redeten ungezwungen miteinander über den wichtigen Augenblick, der sich soeben im Leben der Raiden und ihrer Falken abgespielt hatte. Es war unvermeidlich, dass sich die Gespräche bald dem Erstflug zuwandten, dem einzigartigen
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