Falkenschwur: Die Fortsetzung des Bestsellers »Pestsiegel« (German Edition)
schockierten Gesichter um mich herum sah, begriff ich, wie grausam und brutal meine Worte geklungen hatten.
»Ich will Euren Vater«, sagte Cromwell. »Ich will wissen, was er weiß. Wer seine Kontaktpersonen sind. Und ich will ihn lebend. Habt Ihr verstanden?«
20. Kapitel
Wir gingen zu den Ställen, um die Pferde zu holen, und ritten ein Stück weit die Straße hinauf zu meinem Haus, wo wir übernachten wollten. George bremste mich, als ich ihn mit Dankesbekundungen überschütten wollte. Er sagte, er bräuchte mich, um aus dem Schlamassel herauszukommen, in dem er jetzt steckte. Er wünschte, er wäre nicht zu Cromwell gegangen – dadurch war eine schwierige Aufgabe unmöglich geworden. Blutvergießen vermeiden! Dem König kein Haar krümmen! Richard Stonehouse auch nicht!
Bis zu diesem Moment war mir nicht klar gewesen, wie schwer das geheime Treffen mit meinem Vater auf mir gelastet hatte. Ich war so erleichtert, dass ich es Cromwell gebeichtet hatte und mir die Gelegenheit gewährt wurde, mich reinzuwaschen, dass ich gewillt war, unentwegt Abbitte zu leisten.
»Zumindest haben wir Cromwells Segen«, sagte ich.
George explodierte. »Das soll ein Segen sein? Wenn wir den König festsetzen, heimst Cromwell den Ruhm ein. Wenn wir scheitern, werden wir als Meuterer gehängt. Cromwells Segen!«
Bei mir zu Hause überließen wir die Pferde Jed, den ich vor meinem Aufbruch nach Essex als Stallburschen eingestellt hatte. Er hatte in Edgehill einen Arm verloren, aber er benutzte geschickt einen Haken für die Arbeit, so auch jetzt, um die Pferde einer Kutsche abzureiben – jener Kutsche, die Cromwell und seine Gäste so nervös gemacht hatte.
Sie gehörte Lucy Hay, der Countess of Carlisle, einer engen Freundin von Anne. Dass sie so spät noch vorbeigekommen war, zeigte das Ausmaß der Unruhen, die sie auf dem Rückweg von einem Empfang in der Stadt wahrgenommen hatte. Jetzt wollte sie Anne gemahnen, besonders wachsam zu sein. Doch da war noch etwas, ich spürte es. Bei der Countess war immer noch etwas.
Lucy Hay hatte der Königin nahegestanden, doch vor dem Krieg hatte sie John Pym, dem Anführer der Opposition, noch näher gestanden. Sie hatte Pym politische Geheimnisse anvertraut und dadurch ihm und Cromwell ermöglicht, den König aus London zu vertreiben. Ob sie das Lager mit John Pym geteilt hatte oder nicht, wusste ich nicht, aber nach Pyms Tod während des Krieges erklärte sie, sie hätte die Liebe aufgegeben.
Der Krieg hatte bei jedem seine Spuren hinterlassen, nur die Countess war weitgehend davon verschont geblieben. Ihre Haut wirkte noch genauso durchscheinend wie damals, als ich sie zum ersten Mal erblickt hatte. Dunkle Ringellocken umrahmten ihre gescheiten, blauen Augen, die vom Belladonna funkelten. Ich hatte kaum genügend Zeit, die verwirrte Anne zu küssen, da befahl Lucy auch schon, ihr eine Tasse heiße Schokolade zu bringen. George wusste, dass wir bei Tagesanbruch wieder auf den Beinen sein mussten, und betrat erschöpft das Haus, doch sobald er sie erblickte, war ihm die Lust auf Schlafen vergangen.
Lucy wusste die Menschen zu nehmen. Obgleich sie George anfangs für meinen Burschen hielt, fasste sie sich rasch.
»Ihr seid also ein Fahnenjunker – Ihr schwenkt die Fahne?«
»Die Standarte, Madame«, sagte er kühl.
»Standartenträger, genau. Der wichtigste Posten in der Armee.«
George verbeugte sich lächelnd und machte ein Gesicht, als sei er gerade zum General befördert worden.
Anne hatte ihr erzählt, dass wir bei Cromwell gewesen waren. »Es kann ja wohl kaum eine Feier gewesen sein, wenn Betsy Cromwell ihren Gästen nur Brot gereicht hat.«
Ich glaubte wirklich, es sei Zauberei, dass sie solch ein kleines Detail kannte, bis Jane kam, um die heiße Schokolade zu servieren, und sich herausstellte, dass sie die Quelle für die weiteren Brote gewesen war, die Mrs Cromwell sich ausgeborgt hatte.
»Aber Betsy hat doch wohl wenigstens Butter dazu gereicht, nehme ich an?«, sagte Lucy.
»Eine ausgezeichnete Butter sogar«, erwiderte George, der sich aufschwang, Mrs Cromwells Gastfreundschaft mit solcher Ritterlichkeit zu verteidigen, dass alle in Gelächter ausbrachen. Er strahlte über den unerwarteten Erfolg und fühlte sich bemüßigt, ihn noch zu überbieten. »Und es ging um wesentlich Wichtigeres als eine Feier.«
»Wirklich?« Lucy setzte ihre Schokolade mit einem leisen Scheppern ab. Die blaue Iris füllte ihr ganzes Auge aus. »Was kann denn wichtiger sein
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