Falkenschwur: Die Fortsetzung des Bestsellers »Pestsiegel« (German Edition)
»Es tut mir leid. Ich hätte das nicht sagen sollen. Aber wenn du wüsstest, was geschehen ist …«
Ich erzählte es ihr. Zumindest so viel, wie ich meinte, ihr erzählen zu können. Von Richard. Von Cromwell, der mir befohlen hatte, ihn zurück nach London zu bringen. Er würde mir eine zweite Chance geben.
»Eine zweite Chance?«, rief sie fassungslos.
Ich seufzte. Ich hatte geglaubt, es würde sie beruhigen, würde uns einander näherbringen, aber ich hatte vergessen, was ich ihr erzählt hatte und was nicht. Ich stammelte und wurde immer müder und immer verwirrter.
»Du meinst – du hast Cromwell Richards Brief gar nicht gegeben?«
Ich war nicht mehr sicher, was wann geschehen war. »Da war Liz … die Beerdigung …«
»Konnten wir dich deswegen an dem Tag nicht finden? Weil du mit ihm zusammen warst?«
Ich schloss die Augen. Oder womöglich fielen sie auch von allein zu. Ich wollte nur noch schlafen. Vielleicht war ich sogar eingenickt, aber das Geräusch von Pferden ließ mich auffahren. Cromwells letzte Gäste brachen auf.
»Gibt es noch etwas, das du mir nicht erzählt hast?«
»Nein. Nein. Na ja …«
Ich erzählte ihr, dass der Mann, den Luke für den neuen Stallburschen gehalten hatte, kein Produkt seiner Phantasie gewesen war, sondern Richard. Wir hatten einen Fehler gemacht, Luke der Lüge zu bezichtigen, als er sagte, er habe das Pferd nicht allein aus dem Stall geholt.
»Dieser Mann ist hierher gekommen? Er hätte Luke mitnehmen können?«
Sie konnte mich nicht ansehen. Sie ging ins Bett. Die Überdecke vibrierte. Anne war so unnahbar, so unerreichbar wie damals, als ich sie zum ersten Mal sah.
»Erzähl nichts davon Lucy«, sagte ich. »Sie arbeitet für Holles.«
Sie warf die Decke zurück. »Mach dich nicht lächerlich.«
»Sie kam hierher, um herauszufinden, was ich von Cromwell wollte.«
»Sie kam hierher, weil sie sich Sorgen um Luke und mich macht, was mehr ist als das, was du tust. Du hast gehört, was sie über Lord Stonehouse gesagt hat. Cromwell verlässt die Stadt. Du gehst in ein paar Stunden. Sie war meine Freundin. Die einzige Person, auf die ich vertrauen konnte, aber nach dem heutigen Abend werde ich ihr nie wieder ins Gesicht blicken können. Und jetzt verschwinde bitte und lass mich ein wenig schlafen!«
Um in mein Schlafzimmer zu gelangen, musste ich mein Ankleidezimmer durchqueren. Ich stolperte voran, dann blieb ich stehen, erschrocken über die Gestalt an meiner Kleidertruhe. Ich hatte George ganz vergessen. Schuldbewusst legte er ein Paar meiner besten Kniehosen zurück und murmelte, dass er bei dem Streit nicht hätte schlafen können. Er hatte doch wohl nicht meine Taschen durchsucht? Es war mir gleichgültig. Alles war mir in diesem Moment gleichgültig. Ich wollte nur noch vergessen. Ich fiel auf mein Bett, doch es schienen nur wenige Minuten vergangen zu sein, bis George mich an der Schulter rüttelte.
Ein blasses Morgenlicht vertrieb die Schatten in Annes Zimmer. Sie hatte die Kerze niederbrennen lassen, und der beißende Geruch hing noch in der Luft. Vom Schlaf waren ihre Wangen gerötet, und ihre Wärme vermischte sich mit dem Duft von Rosmarin aus dem Kräuterkissen, das sie stets unter ihrem Kopfkissen liegen hatte. Ein Fuß lugte hervor, und mir erschien er wie ein Wunder von einem Fuß, schmal und von vollkommener Gestalt. Ich konnte es kaum glauben, dass ich ihn einst in meinem Kummer verflucht hatte, als sie über meine riesigen, klobigen, affenähnlichen Füße gelacht hatte. Ich deckte ihn zu und küsste sie zärtlich.
»Ich sorge mich um dich und Luke mehr als um alles andere auf der Welt«, flüsterte ich sanft.
Ihre Augen blieben geschlossen, und ich wollte gerade aufbrechen, als sie sagte: »Schreibe Lucy eine Entschuldigung, und ich werde sie ihr bringen.«
»Nein. Es tut mir leid. Du darfst nicht zu ihr. Wenn sie sich mit Holles zusammengetan hat, wird Lord Stonehouse es als Verrat werten.« Sie versuchte, mich zu unterbrechen, aber ich stoppte sie. »Ich muss dich bitten, mir in diesem Punkt zu gehorchen. Anne. Hast du verstanden?«
»Ja.«
»Wirst du mir gehorchen?«
»Ja. Ja!«
Ich seufzte und spürte, wie der Schweiß in meinem Hemd prickelte. Nie zuvor hatte ich so mit ihr gesprochen. »Wenn irgendetwas geschieht und es hier nicht mehr sicher ist, gehst du zu deinem Vater. Oder noch besser, zu Matthew und Kate nach Spitall Fields.«
»Spitall Fields?« Der Vorschlag empörte sie. Sie sprang auf. »Spitall Fields
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