Fallende Schatten
Nähzimmer vorausgehen und dort warten. Ganze fünf Minuten habe ich ihr gegeben, bis ich so geräuschvoll wie möglich hineingegangen bin. Sie hat aus dem Fenster geschaut, aber ich habe gesehen, die Zeitungsausschnitte lagen jetzt anders da. Und dann habe ich, ehe ich sie zusammengefaltet und in eine Schublade gesteckt habe, dafür gesorgt, daß ihr klar geworden ist, ich hatte das bemerkt.
»Meine Tochter schreibt in Geschichte einen Aufsatz über die Bombardierung des North Strand«, habe ich beiläufig erwähnt. Sie hat kein Wort gesagt. Hat nur das Kleid anprobiert und ist dann gegangen. Als sie ein paar Tage später gekommen ist, um es abzuholen, war in dem Umschlag, den sie mir gegeben hat, genau doppelt soviel wie sonst.
»Das ist zu viel«, habe ich gesagt.
»Das glaube ich nicht, Mrs. Gilmore – Sie etwa? Sie sollten sich nicht unter Wert verkaufen.«
Ich habe bekommen, was ich wollte, aber noch Tage danach hatte ich Magenkrämpfe. Warum habe ich das Gefühl, sie ist mir weit voraus? Wie eine Katze, die mit einer Maus spielt.
1983. Endlich hat Frank seine Ruhe gefunden. Er hat ein paar schreckliche Jahre durchgemacht. Nie habe ich eine solche Verzweiflung gesehen wie in den Augenblicken, wenn er sich bemüht hat, mir zu sagen, was er wollte. Es war eine Erleichterung, als er aufgegeben hat zu kämpfen, vor allem für ihn selber. Der Arme, er wird mir fehlen. Nell war die ganze Zeit über eine ungeheure Stütze. Sie sagt nie viel, aber ich kann mich immer auf sie verlassen. Wir sind alle beide schrecklich müde. Ich habe das Gefühl, ich könnte wochenlang durchschlafen, aber trotzdem stehe ich immer noch morgens um vier Uhr auf und koche uns Tee. Nell ist genauso. Manchmal reden wir, bis es dämmert.
In der Nacht, als er starb, habe ich ihm endlich gesagt, was damals passiert ist. Ich bin mir nicht sicher, ob er mich hören konnte. Es war wohl ungefähr um drei Uhr morgens, sein Gesicht wurde allmählich kalt. Ich bin dagesessen und habe seine Hand gehalten, als er eingeschlafen ist. Ich wollte, daß er wußte, wie dankbar ich ihm war. Wie sehr ich ihn geliebt und ihm vertraut habe.
Es ist ungefähr zehn Tage vor Bullers Tod passiert. Ich habe den Fehler gemacht, auf den Treppenabsatz hinauszugehen, als meine Ma geschrien hat. Er ist in Strümpfen dort gestanden und hat nur sein Hemd angehabt. Es war ganz aufgeknöpft. Dann ist er auf mich zu gekommen, und sein großes Ding ist von ihm weggestanden, und er hat mich gepackt. »Lutsch meinen Schwanz, Lily.« Er hat gelacht und mich auf den Boden geworfen. Ich hab mich nicht bewegen können, mit seinem ganzen Gewicht auf mir. Immer wieder hat er zugestoßen, immer wieder, ich hab gedacht, ich würde auseinanderreißen. Sein Gestank war überall. Seine ekelhafte Zunge hat meinen Mund ausgefüllt. Ich habe keinen Laut von mir gegeben. Es hätte keinen Sinn gehabt. Als er dann aus mir raus ist, habe ich seine Hand gepackt und hineingebissen, bis das Blut heruntergeronnen ist, dann bin ich die Treppe hinuntergerannt, während er gebrüllt hat wie ein Stier.
Ich bin gerannt und gerannt, bis zu Mrs. Heaney. Sie hat nicht aufgemacht. Es war nach elf. Mr. Handl hat aus seinem Laden geschaut, um zu sehen, was der ganze Tumult bedeutet. Er hat mich hereingeholt und mir Zuflucht geboten. Um seine Schultern hatte er einen alten blauen Strickschal, den hat er genommen und mich darin eingewickelt. Er hat Milch für uns warm gemacht und sich neben mich gesetzt, ohne auch nur eine einzige Frage zu stellen, bis ich soweit war, daß ich es ihm erzählen konnte. Ich konnte einfach nicht aufhören zu weinen, so sehr habe ich mich geschämt. Ich bin mir ekelhaft, schmutzig vorgekommen mit dem Gestank von ihm und mit den Beinen ganz voller Blut. Ich habe gedacht, Mr. Handl würde schlimm von mir denken, aber er hat meine Hand gehalten und auch geweint. Dann hat er eine Menge Wasser heiß gemacht und es in eine alte Zinkbadewanne gefüllt und ist aus dem Zimmer gegangen, während ich mich gründlich gewaschen habe. Er ist erst wieder nach unten gekommen, als ich nach ihm gerufen habe.
»Ist an der Tür zu dem Zimmer ein Schloß, Lily?« hat er gefragt.
»Ja, so eines wie das da.« Ich habe auf die Küchentür gedeutet. »Aber es ist ganz verrostet. Der Schlüssel steckt fest.«
Er hat einen Schraubenzieher geholt und mir gezeigt, wie man das Schloß abmacht. Sogar ein paar Tropfen Öl hat er in eine kleine Flasche gefüllt, damit ich die Schrauben lockern kann.
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