Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 2 - Die Goetter von Amyrantha
Erlass, dass Ehebruch mit Steinigung zu bestrafen war? Oder der Meteorit, den er auf das fliehende Liebespaar warf und der zum Symbol wurde für das, was er als gerechte Strafe für treulose Frauen ansah?
Cayal zögerte auf der Türschwelle der Taverne und spähte über den Marktplatz. Es war Nachmittag. Einige der besonders eifrigen Händler öffneten bereits ihre Rollläden oder fachten das Feuer ihrer kleinen Kochstellen wieder an, in der Hoffnung, sich so einen Vorsprung vor der Konkurrenz zu verschaffen. In dieser Stadt, wo es zu viele Menschen und zu wenig Feuerholz gab, hatten nur wenige der ärmeren Wohnstätten eine Küche. Die Menschen kauften ihre Mahlzeiten auf den Marktplätzen, der Preis ergab sich aus den Kosten des Brennmaterials, mit dem der Budenbesitzer das Essen kochte.
Das war ein weiterer Grund, warum Cayal Torlenien so wenig mochte. Die Fladenbrote - eigentlich alle Brotsorten - wurden über einem Feuer aus Kameldung gebacken und schmeckten nach Scheiße. Cayal hatte keine anständige Mahlzeit mehr gehabt, seit er Lukys' feudale Villa bei Elvere verlassen hatte. Er verstand nun, warum Lukys sich eine Frau genommen hatte. Oritha war nicht nur im Schlafzimmer nützlich. Das Mädchen konnte auch kochen.
Cayal trat auf die Straße und blickte flüchtig zur Sonne auf. Er konnte spüren, wie die Kraft des Gezeitensterns beständig zunahm, selbst hier. Auf dem Marktplatz öffneten derweil immer mehr Händler ihre Rouladen.
Und in der Ferne begannen am Turm des Tempels vom Weg der Gezeiten die großen, bronzenen Glocken zu läuten und zeigten den Anwohnern von Ramahn an, dass die Mittagspause vorbei war. Der Klang rauschte über Cayal hinweg wie ein warmer Segen. Er lächelte.
Die Glocken des Tempels vom Weg der Gezeiten. Bryndens Weg.
Und was noch wichtiger war - Bryndens Tempel.
»Kann ich Euch helfen, Bruder?«
Cayal sah sich neugierig um. Er hatte vorher noch nie einen Grund gehabt, den Tempel vom Weg der Gezeiten zu betreten. Das Gebäude war groß, was nicht überraschte, aber nüchtern und schmucklos. Genau wie Brynden es mochte.
Der Mönch, der ihn am Eingang begrüßte, war kahl rasiert und trug einen safrangelben Talar. Er war dünn bis an die Grenze der Abmagerung, doch seine Augen strahlten, und er klang, als wünschte er aufrichtig, dieser verlorenen Seele, die auf geweihtem Boden wanderte, Beistand zu leisten.
»Ich bin auf der Suche nach Brynden.«
Der Mönch lächelte. »Das sind wir alle, Bruder.«
»Ich meinte das wörtlich.«
»Der Fürst der Vergeltung ist nur durch sorgfältiges Studium, Reinheit der Gedanken und Taten sowie Entsagung aller weltlichen Werte zu finden, Bruder.«
»Ich kann also nicht einfach einen Termin vereinbaren?«
Zu Cayals Überraschung besaß der Mönch Sinn für Humor. Er lächelte. »Nein, Bruder. Auf diese Weise finden wir den Fürsten der Vergeltung nicht.«
»Wie kann ich ihn dann finden? Ich meine, anders als durch Studieren, Reinheit der Gedanken und ... was war das noch, was Ihr gesagt habt... Entsagung aller weltlichen Werte?«
»Ist es Euch ernst damit, ihn aufzusuchen?«
»Es ist eine Frage von Leben und Tod.«
»Dann solltet Ihr erwägen, uns beizutreten.«
Cayal lächelte. »Euch beitreten?«
»Der Fürst der Vergeltung beurteilt Menschen nur danach, was sie in ihrer Seele tragen, Bruder. Wenn Ihr Erleuchtung sucht, welches der einzige Weg ist, der zu ihm fuhrt, dann solltet Ihr sorgfältig prüfen, wie sehr Ihr es wirklich wollt. Es gibt keine halben Sachen beim Weg der Gezeiten.«
Cayal starrte den Mönch an. »So schafft Ihr es, Brynden zu begegnen? Ihr werdet einer seiner Lakaien?«
Der Mönch zuckte mit den Schultern. »Ich sagte nicht, dass es leicht sein würde, Bruder.«
»Bei den Gezeiten! Ihr meint das wirklich ernst!«
Cayals Fluchen zeigte keine Wirkung auf die fast aufreizende Gelassenheit des Mönchs. »Entsagung aller weltlichen Werte bedeutet genau das, nämlich Entsagung aller weltlichen Werte. Man kann nicht der Werte entsagen, für die man keine Zeit hat und jene behalten, die man mag. Der Weg der Gezeiten erfordert absolute Hingabe. Wenn Ihr wünscht, den Fürsten der Vergeltung zu finden, müsst Ihr zuerst tief in Euer eigenes Herz schauen.«
»Und was dann?«, fragte Cayal, der schon die Vorstellung für totale Zeitverschwendung hielt.
»Wenn Ihr fühlt, dass Ihr bereit seid, könnt Ihr gern wiederkommen.«
»Um zu beten?«
»Um uns beizutreten«, sagte der Mönch. »Wenn Ihr wünscht, eins zu
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