Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 2 - Die Goetter von Amyrantha
Dunkelheit, dann fiel man in einen tiefen Erschöpfungsschlaf bis zum Mondaufgang, woraufhin die ganze Prozedur mit den beharrlichen >Schnell, schnell<-Rufen wieder von Neuem begann.
Am vierten Tag, als sie hundertzwanzig Meilen Wüste hinter sich und noch zweihundert vor sich hatten, erlebte Arkady ihren ersten Sandsturm.
Er baute sich sehr langsam auf. Anfangs war es nicht mehr als ein vage unbehagliches Gefühl, das sich in der Karawane breitmachte. Selbst Arkady, für die in der Wüste alles noch neu war, spürte die feine Veränderung in der Atmosphäre. Die Kamele wurden zusehends störrischer; die Akolythen sahen einander mit fragenden und verwirrten Blicken an, wohingegen die Kameltreiber etwas aufrechter in ihren Sätteln saßen, angespannt und wachsam wie aufgescheuchte Kaninchen, die Gefahr in der Luft witterten.
Und dann bemerkte jemand, dass der Horizont immer näher kam. Der Himmel verfärbte sich in ein grelles Rosa. Im selben Augenblick, als Tiji nach Westen zeigte und sagte: »Gezeiten! Seht nur ...«, stieß einer der Kameltreiber einen heulenden Alarmschrei aus.
»Was ist los?«, fragte Arkady die fieberhaft hektischen Kameltreiber, die sich anbrüllten und so schnell auf Torlenisch miteinander stritten, dass Arkady kein einziges Wort mitbekam. Sie gestikulierten wild, und einige deuteten nach vorn auf einen Gebirgskamm, der knapp eine Meile nördlich von ihnen aus dem Sand ragte, während einige andere den Kopf schüttelten und wild mit den Armen in der Luft herumfuchtelten.
»Da zieht ein Sturm auf«, sagte Tiji, obwohl sie sichtlich Mühe hatte, zu verfolgen, was die Kameltreiber einander zuriefen. »Ich glaube, sie streiten sich, ob wir uns hier eingraben oder bei dem Bergkamm Schutz suchen sollen.«
»Wären wir dort nicht sicherer?«
»Das hat Farek auch gesagt. Die anderen sind aber dagegen, entweder weil sie glauben, dass wir es nicht schaffen, oder weil es dort spukt. Ich bin mir nicht sicher.«
Arkady schüttelte den Kopf und musste sich an der Querstange festklammern, weil Terailia plötzlich scheute und offenbar spürte, dass etwas nicht in Ordnung war. »Weil es dort spukt, sagst du? Gezeiten, das ist wieder mal typisch. Wir sitzen in der offenen Wüste fest, gleich bricht ein Sandsturm über uns herein, und beim einzigen Schutz im Umkreis von zehn Meilen spukt es?«
Bevor Tiji antworten konnte, begannen die Kameltreiber abzusitzen. Als Terailia sah, wie ihre Artgenossen sich unaufgefordert hinknieten, um ihre Reiter loszuwerden, tat sie es ihnen gleich. Farek, der Anführer der Kameltreiber, lief die Reihe entlang und rief den Akolythen zu: »Schnell, schnell! Nehmt Decken. Schnell, schnell.« Bei den Frauen blieb er stehen. Terailia kniete mittlerweile, und Tiji war schon abgestiegen.
»Was ist los?«
»Groß Sturm. Du schnell-schnell«, sagte er auf Glaebisch, wohl damit Arkady ihn auch verstand. »Liegen in Decken. Bleiben in Decken. Schnell-schnell.«
»Werden keine Zelte aufgeschlagen?«
Farek schüttelte auf Arkadys Frage ungeduldig den Kopf. »Zelt nur fliegen. Gehen puff! Besser Decken. Decken flach. Drehen Rücken zum Wind. Bleiben in Decken bis Sand nicht mehr fliegen.«
»Was passiert mit den Kamelen?«, fragte Tiji.
»Kamele fesseln. Kamele alles gut. Können sehen in Sand.«
Mit dieser merkwürdigen Zusicherung lief Farek weiter die Reihe Kamele entlang und rief jedem, den er traf, >Schnell, schnell< zu. Arkady kletterte von Terailia herunter und langte nach den Fußfesseln, die an der Rückseite des Sattels hingen.
»Glaubst du, es wird ein böser Sturm?«, fragte sie und schob den riesigen Kopf des Kamels zur Seite, damit sie nicht angespuckt wurde, während sie ihm die Fesseln anlegte.
»Gibt es denn so etwas wie einen guten Sandsturm?«, fragte Tiji und rollte zügig die Decken aus, behielt aber dabei den westlichen Horizont im Auge.
Mit dem Gefühl aufsteigender Panik knotete sie die Fußfesseln fest. Der Horizont war bereits deutlich näher gerückt, der Himmel war nicht mehr rosa, sondern hatte eine dunkle, rostbraune Farbe angenommen. Es wurde ungewöhnlich still, die Atmosphäre war vor Erwartung wie aufgeladen. Wäre da nicht die zunehmende Dunkelheit gewesen und das durchdringende Gefühl der Angst, das die Kameltreiber ausstrahlten, Arkady hätte nicht geglaubt, dass ein Sturm aufzog.
»Schnell-schnell!«, brüllte Farek, als er an ihnen vorbeihastete. »Rücken zum Wind. Immer Rücken zum Wind.«
»Wie lange wird es dauern?«, rief Arkady
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