Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 2 - Die Goetter von Amyrantha
erkennen, in welcher Stimmung er gerade war, aber das störte sie nicht. Nur sehr wenige Menschen konnten Declan Hawkes' Mienenspiel deuten, wenn ihm danach war, unergründlich zu sein. »Ist das ein Problem? Du hast mir nicht die Anweisung erteilt, mich ungesehen hereinzuschleichen.«
»Wenn Maisie dich gesehen hat, ist das kein Problem.« Der Erste Spion ging über den fadenscheinigen Teppich zu dem weißgescheuerten Holztisch, der fast die ganze nördliche Ecke der kleinen Zweizimmerwohnung einnahm. »Sie ist eine von uns.«
»Warum habe ich sie dann noch nie gesehen?«, fragte sie und folgte ihm mit den Augen.
»Weil es nicht nötig war.«
»Wenn du es sagst«, meinte Tiji. Ihr Blick fiel auf ein halb gepacktes Bündel auf dem Tisch, neben dem sich Ausrüstung und Vorräte türmten - von der Art, wie man sie für eine ausgedehnte Reise fernab jeder Zivilisation brauchte. »Willst du verreisen?«
»Wir verreisen beide.« Declan nahm ein kleines, in Leder eingeschlagenes Päckchen vom Tisch und warf es ihr zu.
Tiji fing es auf, löste die Verschnürung des Bündels und spähte hinein. »Was ist das?«
»Geleitpapiere.«
»Wohin?«
»Torlenien.«
Überrascht sah sie auf. »Ich muss nicht selbst hinschwimmen, weil du mir eine Schiffspassage auf einem Segelschiff spendierst? Ich bin entsetzt, Declan. Du wirst mir ja noch sentimental auf deine alten Tage.«
Er lächelte humorlos und wandte sich wieder seiner Beschäftigung zu, die Ausrüstung auf dem Tisch in sein halb volles Bündel zu stopfen. »Ich weiß, wie findig du bist, Tiji, aber selbst du hättest Schwierigkeiten, den ganzen Weg über die Wildwasser-Stromschnellen nach Torlenien zu schwimmen.«
»Wie aufmerksam von dir, Declan. Und warum fahre ich ausgerechnet nach Torlenien?«
»Um herauszufinden, ob Lady Chintara in Wirklichkeit eine Unsterbliche ist.« Er stopfte einen kleinen Käselaib seitlich in sein Bündel.
»Und was tue ich, wenn ich das herausgefunden habe?«
»Dann warnst du Arkady.«
»Verstehe.«
Er warf ihr einen Blick zu. »Was soll das heißen?«
»Nichts«, versicherte sie ihm. »Aber ich bin doch neugierig. Warum schickst du mich hin? Wenn du vermutest, dass hinter der kaiserlichen Gemahlin Kinta der Wagenlenker steckt, müsstest du doch eigentlich losstürmen wie ein Wirbelwind, um deine kleine Liebste vor der Gefahr zu warnen, in der sie möglicherweise schwebt.«
»Sie ist nicht meine Liebste«, erwiderte Declan mechanisch und packte weiter sein Marschgepäck.
Tiji lächelte. Es machte ihr Spaß, Declan mit der Fürstin von Lebec aufzuziehen. Einfach deshalb, weil sie in all den Jahren nichts anderes gefunden hatte, womit sie ihn aufziehen konnte. Der Mann war nicht aus dem Gleichgewicht zu bringen. Nur wenn es um Arkady ging, zeigte sein Panzer hauchfeine Risse.
Und selbst darin war Tiji sich nicht so sicher. Aber die kleine Crasii war ja nicht auf den Kopf gefallen. Bei mindestens drei unterschiedlichen Gelegenheiten war sie Declan dabei zur Hand gegangen, Situationen zu entschärfen, die für Arkadys Gemahl, den Fürsten von Lebec, hätten peinlich werden können. Bei jedem dieser Vorfälle war es um junge Männer gegangen, und jedes Mal um andere. Alle waren sie aus irgendeinem Grund im Palast von Lebec zu Gast gewesen. Und auf Declans Befehl hatte Tiji dafür gesorgt, dass jeder Einzelne von ihnen den Mund hielt. Da es für Declan eigentlich keinen logischen Grund gab, Stellan Desean vor einem Skandal zu bewahren - als Erster Spion des Königs müsste er eigentlich genau das Gegenteil tun -, war Tiji schon lange zu dem Schluss gekommen, dass es nicht Stellan war, den Declan schützte.
Er schützte seine Jugendfreundin Arkady.
Natürlich konnte ihre Freundschaft so unschuldig sein, wie Declan immer behauptete, und Tiji hatte auch nie etwas bemerkt, das anderes vermuten ließ. Und doch ... Declan bekam immer etwas leicht Wehmütiges, wenn er von Arkady sprach. Sein ganzes Auftreten wurde weicher, und das war etwas, das keiner anderen lebenden Kreatur auf Amyrantha gelang. Wenn Declan Hawkes nicht in Arkady Desean verliebt war, überlegte Tiji, dann war er wahrscheinlich gar nicht fähig, überhaupt jemanden zu lieben.
Wie sehr es ihn doch wurmen muss, dass die Frau, die er liebt, einen anderen geheiratet hat. Und auch noch einen, der gar nicht fähig war, sie auf die Weise zu lieben, wie Declan Arkady liebte - oder gerne lieben wollte. Da war sich Tiji ganz sicher.
Manchmal dachte Tiji, dass es wohl das war,
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