Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 2 - Die Goetter von Amyrantha
überhaupt noch Sinn, darüber zu diskutieren?«
Tilly beugte sich lächelnd vor und tätschelte seine Hand. »Wir können noch ein bisschen länger darüber streiten, wenn Ihr Euch dann besser fühlt, mein Lieber. Aber am Ende werdet Ihr tun, was ich sage, wir beide wissen das.«
Er riss seine Hand weg, absolut nicht in der Stimmung, ihre Spielchen mitzuspielen. Die Frau mochte alle in Glaeba davon überzeugt haben, dass sie eine exzentrische Närrin war, aber Declan wusste es besser. »Wisst Ihr, eines Tages gehe ich zum König und erzähle ihm, wer Glaeba wirklich regiert.«
»Und während Ihr auf diese Gelegenheit wartet, tut Ihr wie geheißen, Declan Hawkes. Findet Maralyce. Und Euren Großvater.«
»Selbst wenn ich dabei wesentlich bedeutenderen Gefahren den Rücken kehre?«
»Declan, wenn wir keinen Weg finden, der wachsenden Macht der Gezeitenfürsten zu begegnen, wird es keine Bedeutung haben, was Ihr tut, um Euren Freunden zu helfen.«
»Ihr geht davon aus, dass ich nur an Arkady denke.«
»Sie ist auch meine Freundin, wie Ihr wisst. Keiner wünscht ihr weniger Übles als ich.«
»Aber Ihr seid bereit, sie der Gewalt der Gezeitenfürsten zu überlassen.«
Tilly zuckte die Achseln. »Arkady hat bereits bewiesen, dass sie aus eigener Kraft mit Gezeitenfürsten fertig wird, Declan.« Sie erhob sich. »Jetzt ist es Zeit, dass Ihr dasselbe tut.«
17
Declan Hawkes hielt Privatleben und Arbeit gern streng voneinander getrennt. Als Tiji also die Anweisung erhielt, Declan zu Hause aufzusuchen statt in einem seiner Amtsräume, wusste sie, dass etwas Besonderes im Gange war.
Sie kam am späten Nachmittag dort an. Seine kleine Wohnung lag über einer Apotheke, einige Querstraßen vom Palast entfernt in einer Gegend von Herino, die ruhig und unspektakulär war. So nah am Seeufer waren die Straßen zwar gepflastert, aber die Häuser ruhten auf etwa hüfthohen Holzpfählen und wurden durch hölzerne Stege miteinander verbunden. So konnte das Hochwasser, zu dem es im Frühjahr häufig kam, ungehindert abfließen. An den meisten Häusern lehnten kleine Boote und warteten auf die nächste Schmelzwasserflut. Tiji musste ihnen mehrmals ausweichen, als sie auf Declans Haus zuging. Vom letzten Hochwasser war schon lange nichts mehr zu sehen, wie sie bemerkte, die Feuchtigkeit der Straße stammte von einem gewöhnlichen Regenguss. Besonders hier in Palastnähe waren die Straßen von Herino so angelegt, dass sie schnell wieder trockneten, und das letzte Landunter war noch im Vorfrühling gewesen.
In diesem Teil der Stadt lebten vor allem Fischer, Ladenbesitzer und Händler. Menschen, die unter sich blieben und dabei auf ruhige, unauffällige Art auch ein Auge auf ihre Nachbarn hatten. Tiji dachte bei sich, dass Declans Nachbarn wahrscheinlich gar nicht wussten, wer er war, aber offenbar hatten sie an dem netten jungen Mann über der Apotheke nichts auszusetzen. Eine Frau, die vor dem Haus gegenüber ihren hölzernen Steg fegte, nickte der Crasii sogar grüßend zu.
Tiji lächelte und erwiderte den Gruß mit einem Winken, als sie durch die Haustür ins enge Stiegenhaus schlüpfte. Ihre Hände steckten in Handschuhen, ein langer Kapuzenmantel verdeckte ihre silberne Haut und ihre schuppigen Züge. Die Nachbarin musste annehmen, dass Declan zum Abendessen Damenbesuch erwartete. Vermutlich versorgte Tiji gerade die ganze Straße für Tage mit Gesprächsstoff.
Bei dem Gedanken grinste sie immer noch, als Declan auf ihr Klopfen die Tür öffnete und zurücktrat, um sie einzulassen.
Die Wohnung überraschte Tiji. Es gab hier nur wenig, das auf die Persönlichkeit des Eigentümers schließen ließ. Keine Bilder an den roh verputzten Wänden, kein Krimskrams oder persönliche Andenken auf dem hölzernen Kaminsims über der rußgeschwärzten offenen Feuerstelle, eigentlich gab es in der sparsam möblierten Wohnung nichts, das darauf hindeutete, wer sie bewohnte.
Vielleicht wohnt er ja gar nicht hier, dachte Tiji und betrachtete das ordentlich gemachte Bett und das abgewaschene Geschirr, das auf einem Trockengestell am Fenster aufgereiht war. Vielleicht wohnt Declan eigentlich woanders, und diese Wohnung ist nur eine seiner Fassaden. Nur eine weitere Lüge, ein weiteres Gesicht dieses Mannes mit vielen Gesichtern . . .
»Hat dich jemand kommen sehen?«, fragte er und schloss die Tür hinter ihr.
»Nur die Frau von gegenüber.« Tiji drehte sich um, um dem Ersten Spion ins Gesicht zu sehen. Sie konnte nicht
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