Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 3 - Der Palast der verlorenen Traeume
Übel?«
»Zu der Zeit schien es zumindest so«, sagte Arkady und setzte sich an den Arbeitstisch.
»Diese Einschätzung hat sich ja eindrucksvoll als Trugschluss erwiesen, nicht wahr?«
Dieser Tadel ließ sich kaum anfechten, also versuchte Arkady es gar nicht erst. Sie wusste nicht genau, wie spät es war. Kurz nach der Morgendämmerung, nahm sie an und fragte sich, ob Tiji zum Außenposten zurückgekehrt war oder die Nacht im Sumpf verbracht hatte. Sie seufzte bei dem Gedanken daran, was sie Tijis wiedergefundenem Volk angetan hatte. Gezeiten, wie viele haben wir ermordet?
Glücklicherweise schien Arryl nicht die Absicht zu haben, sie mit Schuldzuweisungen zu überhäufen. Sie füllte den riesigen Bottich bis zum Rand mit kochendem Wasser und stellte den Kessel zurück in die Ecke. Arkady, in Lebec geboren und aufgewachsen, wo Zuchtperlen zu den Haupteinnahmequellen der Provinzen gehörten, erkannte die Hilfsmittel von Arryls Gewerbe. Sie erntete den schimmernden Belag von Muschel- und Austernschalen, der in Glaeba als Perlmutter bekannt war.
Der Raum stand voller Säcke mit Muschelschalen und Behältern mit fertigen Perlen und kleinen flachen Ziegeln aus Perlmutt. Auf den Borden ringsum lagen wundervoll gefertigte Schmuckstücke, die darauf warteten, für die reichen Damen in PortTraeker in Silber oder Gold eingelegt zu werden. Es gab noch einen weiteren Arbeitstisch an der Wand, der verdächtig nach einer Apothekerwerkbank aussah, was seltsam war. Das viele Perlmutt allerdings ergab Sinn. Arkady erinnerte sich, das Cayal ihr erzählt hatte, Medwen sei eine begabte Glasmacherin. Offenbar hatte sie während der letzten Ebbe beschlossen, ihrem Repertoire das Handwerk der Perlmuttschmuckfertigung hinzuzufügen.
Arryl lächelte Arkady ermutigend an, als sie sich in der Werkstatt umsah. »Ich rede mit dem Ältestenrat der Chamäliden. Ich bin sicher, wir können sie überzeugen, dass du in dieser verhängnisvollen Episode ebenso ein Opfer warst wie sie selbst.«
Arkady runzelte die Stirn und sah die Unsterbliche an. »Geht es gut aus? Ich meine, für die Chamäliden? In einem hatte Cydne nämlich recht: Er stammt aus einer sehr einflussreichen und wohlhabenden Familie. Sie werden seine Hinrichtung nicht ungesühnt hinnehmen, wenn sie erfahren, wie er starb.«
»Mach dir darüber keine Sorgen«, sagte Arryl und rührte mit einem langen Stock die Muscheln um, bis alle vollständig vom Wasser bedeckt waren. »Medwen und Ambria sind schon unterwegs nach PortTraeker, um seiner Familie und wohl auch der Ärztegilde zu erklären, wie ein tragischer Unfall zum Tod des Erben des Hauses Medura geführt hat. Sie kümmern sich schon darum, dass seine Familie keinen Ärger macht.«
»Ich wusste gar nicht, dass Lady Medwen und Lady Ambria auch über magische Kräfte verfügen.«
Arryl lachte.
»Habe ich etwas Lustiges gesagt, Mylady?«
»Wer hat dir das erzählt? Cayal, nehme ich an. Gezeiten, dieser Mann sieht die Welt mit so selbstbezogenem Blick.«
»Verzeihung, aber was ich meinte …«
»Du meintest, du glaubst nicht, dass meine beiden unsterblichen Schwestern die Macht haben, die Art von Vergeltung zu üben, in der Cayal so gerne schwelgt, wenn er sich die Welt gefügig machen will«, unterbrach Arryl brüsk Arkadys Entschuldigung. »Und ich habe gelacht, Arkady, weil du offenbar davon ausgehst, dass das das Einzige ist, was wir tun. Ist dir nie in den Sinn gekommen, dass zehntausend Jahre Erfahrung einem auch andere Fertigkeiten einbringen könnten als nur die zur mutwilligen Zerstörung der Zivilisation, wann immer etwas nicht nach unserem Willen geht?«
»Ehrlich gesagt nein, Mylady.« Arkady lächelte verlegen. Gerade sie sollte es besser wissen und keine vorschnellen Schlüsse ziehen.
Was ist nur aus der logisch denkenden, gewissenhaften Akademikerin geworden? Habe ich sie eingebüßt, als ich meine Kleidung ablegte, zusammen mit gewissen moralischen Werten, die ich früher besaß 1 ?
Arryl schien jedoch nicht nachtragend zu sein. »Dann solltest du jetzt damit anfangen, Arkady, da die Gezeiten wieder steigen. Fang an, uns Unsterbliche als Menschen zu sehen und nicht nur als Götter oder Monster.«
»Und was ist Declan jetzt?«, fragte sie neugierig. »Ein Gott oder ein Monster?«
Die Unsterbliche zuckte die Achseln und warf aus einem kleinen Sack, der auf dem Bord hinter ihr stand, eine Handvoll Salz in den Bottich. »Das liegt ganz bei ihm, schätze ich. Ich kann mir vorstellen, dass etwas von beidem
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