Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 3 - Der Palast der verlorenen Traeume
wo das erste Schiff in Sichtweite kam. Es war ein Flachboot mit wenig Tiefgang. Zwei nackte Frauen – dem Suzerain-Gestank nach zu urteilen Ambria und Medwen – waren an den einzigen Mast mittschiffs gekettet. Das Schiff segelte unter den Farben des Hauses Medura und einer weiteren Flagge mit den verflochtenen Weinblättern der Ärztegilde. Mehrere Männer in fein gewirkten Roben standen mit einem älteren Mann auf dem Vorderdeck neben der sich deutlich abzeichnenden Gestalt Ulag Parduras.
»Fang an zu zählen«, wiederholte Azquil. »Jetzt geht der Spaß los.«
58
Sobald Andre Fawks’ Assistent die uralten Karten des Tarots der heiligen Überlieferung vorsichtig voneinander gelöst hatte, requirierte Warlock sie im Namen der unsterblichen Jungfrau und machte sich auf den Heimweg, bereit, jeden umzubringen, der sich ihm in den Weg stellte. Die Karten waren ihm völlig gleichgültig, aber er hatte Boots und die Kleinen schon fast drei Wochen nicht mehr gesehen. Er wurde ganz verrückt bei dem Gedanken, was ihnen während seiner Abwesenheit alles zustoßen konnte.
Elyssa war entzückt, als er mit ihrem Schatz zurückkam, und legte die Karten sorgfältig auf einen großen Tisch, den sie eigens für diese Gelegenheit in ihr Gemach hatte bringen lassen. Sie suchte etwas in den Karten, das hatte Warlock schon herausgefunden, aber er hatte keine Ahnung, was es war. Nur dass es wertvoll war.
So wertvoll, dass Elyssa bereit gewesen war, wegen dieses Tarotdecks Fawks’ gesamte Ausgrabung zu finanzieren.
In seiner Ungeduld, von ihr wegzukommen, und weil er unbedingt herausfinden wollte, wie es Boots und den Kindern ging, hätte Warlock um ein Haar alles aufs Spiel gesetzt, indem er eigenmächtig um Erlaubnis bat, sich entfernen zu dürfen, da öffnete sich die Tür zu Elyssas Gemächern, und Tryan kam herein.
Der Gestank des Suzerain stach ihm in die Nase. Warlock schaffte es nur mit Mühe, den Würgereiz zu unterdrücken. Er zwang sich zu einer höflichen Verbeugung vor dem Gezeitenfürsten. Die Bewegung erregte Elyssas Aufmerksamkeit, und sie sah vom Tisch auf.
»Weißt du nicht, dass du anzuklopfen hast?«
Tryan zuckte die Achseln. »Du hättest mich längst kommen spüren können.« Er ging auf sie zu, bis er nah genug am Tisch war, um die Karten zu sehen. »Gezeiten, du hast sie ja gefunden.«
»Nicht gerade dank deiner Hilfe.«
»War nicht meine Schuld, dass sie gesprungen sind.« Er beugte sich ein wenig vor, um die brüchigen, verblassten Karten zu betrachten. »Du weißt doch, dass du deine Zeit verschwendest, oder? In diesen Karten liegt kein Geheimnis verborgen. Ich habe sie mir angesehen, als wir die Gefangenen gefilzt haben.«
»Du meinst, es liegt eher in der Kanalisation des Palastes von Herino?« Mit einem garstigen Lächeln sah sie zu ihm auf. »Oh ja, ich habe von deinem kleinen Spion gehört, den man in Glaeba geschnappt hat, als er um die Latrinen herumstrich. Was wolltest du übrigens erreichen, als du ihn dorthin geschickt hast?«
Tryan blickte missvergnügt drein. »Möglicherweise hat Jaxyn es schon gefunden.«
»Mach dich nicht lächerlich. Wenn Jaxyn es gefunden hätte, wüssten wir längst alle davon. Und Maralyce würde nicht mehr danach suchen.«
»Du weißt gar nicht, ob sie das tut«, stellte er klar. »Nach allem, was wir wissen, buddelt sie sich nur durch ganz Glaeba, weil sie einfach gern …« Tryan hielt im halben Satz inne, als ob er von einem anderen Gedanken überrascht worden wäre.
»Gern was?«, fragte Elyssa.
»Gezeiten …«
»Was, Tryan?«
»Maralyce … gräbt sich durch ganz Glaeba …«
»Und?«, drängte seine Schwester. »Das tut sie seit Jahrhunderten.«
»Was durchaus bedeuten könnte, dass ihre Tunnel inzwischen bis nach Caelum reichen.«
Elyssa hielt inne, um sich diese Möglichkeit durch den Kopf gehen zu lassen, und runzelte die Stirn. »Das hieße, dass sie nach Belieben nach Caelum hinein- und wieder herausspazieren kann, ohne dass wir davon irgendwas mitkriegen.«
»Und nicht nur sie, sondern auch andere«, ergänzte Tryan, »wenn sie ihnen hilft.« Unvermittelt blickte der Gezeitenfürst auf Warlock, als nähme er ihn zum ersten Mal wahr. »Cecil, hol mir meine Stieftochter her, ja?«
»Mein Fürst?«, fragte Warlock verwundert und bemerkte sofort seinen Fehler. Kein echter Crasii würde je zögern, der Aufforderung eines Unsterblichen ohne Rückfrage Folge zu leisten.
»Prinzessin Nyah, du großer dummer Hund. Hol sie mir sofort.«
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