Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 3 - Der Palast der verlorenen Traeume
ziemlich sinnlose Scharade. Bestimmt musste sie doch wissen, was hier wirklich vorging.
Oritha schenkte ihr gewinnendes Lächeln nun Declan. »Und Ihr, mein Herr? Wir haben Euch nicht erwartet; doch ich bin sicher, dass mein Gemahl entzückt sein wird, Euch zu empfangen.«
»Wo ist denn Euer Gemahl, Mylady?«, erkundigte sich Cayal. »Und Fürst Pellys? Und Fürst Kentravyon?«
»Sie sind auf die Schneebärenjagd gegangen«, erklärte Oritha mit einem Lächeln und einem Achselzucken, das von liebevoller Nachsieht für die Marotten ihres Gemahls zeugte. »Lord Kentravyon wird leicht … reizbar, wenn er zu lange in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt ist.«
»Dann nehme ich an, dass sie eine Weile fortbleiben?«
»Nicht allzu lang, hoffe ich. Wir haben Euch schon seit geraumer Zeit erwartet, daher weiß ich, dass Ryda sich ungern allzu weit vom Palast entfernen möchte.«
»Ryda?«, fragte Arryl leicht verwirrt.
Declans Herz setzte einen Schlag aus.
»Das ist der Name unseres Gastgebers«, erklärte Cayal. »Wusstet ihr das nicht? Er ist ein Edelsteinhändler aus Stevanien und heißt –«
»Ryda Tarek«, beendete Declan den Satz für ihn. Ihm war so schwindelig, als stürzte er von einer Felskante in einen Abgrund.
Als Declan am nächsten Morgen erwachte, fühlten sich die Gezeiten an wie die See bei einem heftigen Unwetter. An die Präsenz von Arryl und Cayal in den Gezeiten hatte er sich längst gewöhnt. Es war leicht, sie auseinanderzuhalten. Cayal war viel stärker als Arryl. Ihre beruhigende Gegenwart war leicht zu unterscheiden von der kabbeligen Kraft, die Cayal ausstrahlte. Doch an diesem Morgen war es anders. Dies war weit mehr als die Anwesenheit von ein paar Unsterblichen wie Cayal, Arryl und Taryx.
Dies war ein reißender Strudel.
Lukys, Pellys und Kentravyon waren hier.
Declan war nicht sicher, wie er sich verhalten sollte. Seit er die Identität von Ryda Tarek kannte, wusste er nicht mal mehr, was er fühlen sollte. Und doch war ein Teil von ihm nicht einmal sonderlich überrascht. Er hatte ja schon mehrmals den Verdacht gehabt, dass das fünfte Mitglied des Fünferrats ein Unsterblicher war. Maralyce hatte ihm bestätigt, dass das möglich war, sie hatte ihm sogar von Lukys und Cayal erzählt und dass sie so etwas schon früher mit den Heiligen Kriegern abgezogen hatten.
Aber es war ihm nie in den Sinn gekommen, selbst nachdem er Ryda Tarek in Tilly Pontings Salon in Herino getroffen hatte, dass er es mit dem unsterblichen Lukys zu tun haben konnte.
Der Unsterbliche, der vielleicht mein Vater ist oder auch nicht.
Es gab in diesem Punkt wohl eine gewisse Unvermeidlichkeit, fürchtete Declan. Es passte alles zu gut zusammen, als dass seine Existenz sich einem bloßen Zufall verdanken konnte. Obwohl Cayal recht hatte, wenn er sagte, es wäre möglich, dass zufällig ein anderer Gezeitenfürst durch Glaeba gezogen war. Dass er jedoch die Nacht mit einer Hure verbracht hatte, die zufällig die Tochter eines Gezeitenwächters war, und mit ihr ein Kind gezeugt hatte, war jenseits aller Wahrscheinlichkeit.
Und der einzige Gezeitenfürst, der wusste, dass Maralyce überhaupt ein Kind geboren hatte, war Lukys. So viel nämlich hatte er ihnen in Tillys Salon verraten, als er als Mitglied der Bruderschaft auftrat und ihnen erklärte, dass Cayal seiner Meinung nach einen Weg zu sterben gefunden habe und die Bruderschaft ihm helfen solle, statt sein Ansinnen zu behindern.
Ryda Tarek ist der bedeutendste Gezeitenfürst-Gelehrte auf Amyrantha, so hatte es in Tillys Salon geheißen. Sobald man den Grund erkannt hatte, war unschwer zu verstehen, wie das kam.
Declan fühlte, wie die Gezeiten um ihn aufwallten, und begriff, dass er sich nirgends verstecken konnte. Wenn er die anderen spüren konnte, konnten die ihn auch spüren.
Und einer von ihnen kam näher …
Declan drehte sich um, um den Eingang dieser prächtigen – wenn auch eisigen – Kammer ins Auge zu fassen. Hier gab es keine Türen, nur eine Menge Vorräume und Korridore, die den Anschein von Intimsphäre vermittelten, wenn auch trügerisch.
Intimsphäre war wohl grundsätzlich nicht mehr als eine Illusion, vermutete er, wenn man einander in den Gezeiten spüren konnte.
Jojo stand Wache an der Tür. Er vermutete, dass sie die ganze Nacht dort zugebracht hatte.
»Du kannst jetzt runtergehen, Jojo«, sagte er ihr, »und etwas essen. Und dich hinlegen.«
»Aber da kommt jemand, Herr …«
»Ich weiß. Ich kann ihn spüren. Geh.
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