Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 4 - Der Kristall des Chaos
unverschämt geworden, weil irgendwer weggegangen ist. Arryl wird es wissen. Sie war ziemlich außer sich, als sie ihn zurückgebracht haben. Steif gefroren.« Der Gezeitenfürst grinste. »Lustig hat er ausgesehen, wie eine Statue. Weißt du, wie diese Leute auf Jahrmärkten, die so tun, als ob sie aus Marmor sind, und dann, wenn du mal nicht hinschaust, stellen sie sich anders hin?«
Tiji konnte nicht reden, nicht einmal klar denken. Gezeiten, ist das der Grund , warum Azquil mich nie suchen kam? Weil er wirklich gedacht hat, dass ich abgehauen bin?
War er sie suchen gegangen in der eisigen Einöde, die den Palast umgab, und umgekommen beim Versuch, sie zurückzuholen?
Tiji wartete nicht auf weitere Einzelheiten. Sie drehte sich um und floh die Treppen hinauf zu den oberen Geschossen des Palastes. Sie musste Azquil finden, oder jemanden, der ihr sagen konnte, was mit ihm passiert war.
53
Die Küste von Jelidien kam sehr plötzlich in Sicht. Als die eisigen Klippen des Kontinents am dunklen Horizont auftauchten und dann in alarmierendem Tempo wuchsen, während sie auf sie zurasten, war Declans Blut von der tagelangen Konzentration auf die Kraft der Gezeiten schon fast am Siedepunkt. Die Unsterblichen hatten mit den kleinen, stromlinienförmigen Brettern, die sie den Kindern am Strand von Denrah abgenommen hatten, eine spektakuläre Geschwindigkeit entwickelt. Trotz des Umwegs, auf dem sie Diala, Ambria, Lyna und Medwen in Senestra einsammelten, waren sie in nur ein paar Tagen fast um die Welt gesaust und hatten eine Strecke zurückgelegt, für die sie ohne Gezeitenmagie viele Monate gebraucht hätten.
Es gab eine gewisse Erwärmung aufgrund der Reibungshitze, zugegeben – Warlock und Stellan klagten darüber jedes Mal, wenn sie anhielten –, aber sie hatten Jelidien innerhalb weniger Tage erreicht, und niemand war in Flammen aufgegangen.
Es war noch dunkel, als sie landeten. Die Aureolen des Polarlichts erhellten den Nachthimmel mit einem berauschenden Tanz aus grünem und blauem Leuchten, als ob die Lichter auf die Musik des Universums eingestimmt wären und zu einem himmlischen Orchester tanzten, das nur die Sterne hören konnten.
Und sämtliche Unsterblichen waren äußerst gereizt, mürrisch und bereit, bei der kleinsten Provokation in die Luft zu gehen.
Warlock und Stellan hielten etwas Abstand, sobald sie von den Brettern geklettert waren. Warlock war mit Declan gereist, und Stellan hatte hinter Kinta gekauert. Desean wirkte wachsam und bedächtig, Warlock hingegen schien die allseitig angespannte Stimmung regelrecht Angst zu machen. Declan konnte es ihm nicht verübeln. Er fühlte selbst diese wollüstige Wut, und wenn es ihm so ging, konnte es bei den anderen nicht viel besser sein.
Eine konzertierte Aktion schien ihm im Augenblick fast ausgeschlossen.
»Gezeiten, lasst uns das nicht so bald wieder machen«, sagte Medwen, als sie von dem Brett taumelte, das sie und Jaxyn geritten hatten. Der krabbelte herunter und fiel erst mal in den Schnee, flach auf den Rücken. Um sie herum knisterte und zischte der Boden, weil das Eis unter den heißen Brettern platzte und schmolz. Das einzig andere Geräusch kam aus dem Hintergrund von der See, die erbarmungslos gegen die Eisklippen drosch. Es schien, als werfe sich der ganze Ozean gegen diese kontinentgroße Festung, um sie zu schleifen, was ihn mit zunehmendem Erfolg nur noch wütender machte.
Erschöpft und am ganzen Körper bebend wie ein getroffener Blitzableiter auf der Suche nach Entladung fiel Declan auf die Knie, zum ersten Mal in seinem Leben in völliger Übereinstimmung mit einem anderen Unsterblichen.
»Ich hatte vergessen, wie es sich anfühlt, wenn man das beim Höchststand macht«, stimmte Tryan zu und sah dabei so schlotterig aus, wie Declan sich fühlte. Er gab tiefe, keuchende Atemzüge von sich, als wäre er den ganzen Tag gerannt und stünde kurz vor dem Herzinfarkt.
Und es war wirklich der Höchststand der kosmischen Flut. Oder wenn nicht, war er zumindest erschreckend nah. Selbst nachdem er die Gezeiten ganz losgelassen hatte, kniff und brummte es noch auf seiner Haut, wartete auf ihn, rief ihn, führte ihn in Versuchung, verführte ihn, wieder einzutauchen in diese köstliche Umarmung.
Gezeiten, kein Wunder, dass sie nicht widerstehen können, die Magie zu benutzen, wenn die Flut auf dem Höchststand ist. Es schien geradezu eine verbrecherische Verschwendung, nicht irgendetwas mit all dieser Macht anzufangen.
Von allen
Weitere Kostenlose Bücher