Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 4 - Der Kristall des Chaos
kriegen, was sie wollte. Also zog er sie in seine Arme, küsste sie, bis sie keine Luft mehr bekam, und ließ sie los. Dann wandte er sich mit einem Ruck ab, als könne er die Trennung kaum ertragen, und schritt durch den Eissaal zum Eingang. Und achtete darauf, Elyssa den Rücken zuzuwenden, damit ihn der Ekel in seinem Gesicht nicht verriet.
»Netter Stil«, kommentierte Taryx, als Cayal näher kam. Er stand mit Kentravyon beim Eingang.
Der Irre hielt eine Spitzhacke. Er nickte zustimmend. »Um nichts in der Welt hätte ich diesen Mund geküsst. Aber du warst da nie so pingelig, was, Kleiner?«
»Halt den Mund, Kentravyon.«
Taryx grinste über Cayals Unbehagen. »Ich hab noch nie verstanden, was du an ihr findest.«
»Ich finde gar nichts an ihr«, erklärte Cayal und riss ihm die Hacke aus der Hand. »Elyssa ist eine boshafte, selbstsüchtige Schlampe. Es wäre sogar egal, ob sie wie Arkady aussieht. Ihr Wesen wird dadurch nicht einnehmender.«
»Hoffentlich hast du diese kleine Perle der Weisheit unerwähnt gelassen, als du ihr Zucker in die Ohren gesäuselt hast«, sagte Lukys, der die Treppe herunterkam und ein Brecheisen und eine weitere Hacke mitbrachte. Coron saß auf seiner Schulter. Cayal war immer noch leicht sauer, wie Lukys ihn in diesem Punkt geleimt hatte. Die tote Ratte, die er ihm in Torlenien gezeigt hatte, war nichts als eine List gewesen, damit er sich an Lukys’ Vorhaben zu Corynas Auferstehung beteiligte. Warum Lukys dafür so einen umständlichen Aufwand betrieben hatte, konnte Cayal nicht ganz nachvollziehen.
Oder vielleicht doch. Cayal hätte sich vermutlich einen feuchten Dreck für Lukys' Pläne interessiert, wäre da nicht das Todesversprechen fürs Finale gewesen.
Lukys warf Taryx das Brecheisen zu und hockte sich hin, hob die Ratte von seiner Schulter und hielt sie vor sich, um sie direkt anzusprechen. »Geh zu Maralyce. Sie kümmert sich um dich, bis ich komme.« Er küsste die Ratte auf die Stirn. »Jetzt dauert es nicht mehr lange, meine Liebste. Versprochen.« Kaum dass Lukys sie abgesetzt hatte, eilte die Ratte davon, schnurstracks in den Saal hinein und dann quer hinüber zu Maralyce und dem Altar, wie Lukys es ihr befohlen hatte.
»Weißt du was, es ist schon etwas beunruhigend, dich mit dieser Ratte sprechen zu sehen«, bemerkte Kentravyon. »Gut, dass ich weiß, wer da in Wahrheit drinsteckt, Lukys, andernfalls würde ich mir ernsthaft Sorgen um dich machen.«
»Von mir aus, Kentravyon. Wenn du dir unbedingt schlaflose Nächte machen willst, warum dann nicht meinetwegen?« Er sah nach oben und prüfte das Eis über dem Eingang. »Wir müssen die Decke runterreißen, um den Durchgang zu schließen.«
»Sollte nicht allzu schwer sein«, meinte Taryx und blickte hoch. »Leichter wärs aber, wir würden die Gezeiten zu Hilfe nehmen.«
»Besser nicht.« Lukys hob die Axt.
»Warum sperrst du Pellys aus?«
Lukys ließ die Axt sinken und drehte sich zu Cayal um. »Weil er nicht mitkommen möchte. Er fühlt sich hier wohl.«
»Dann hatte Kentravyon unrecht?«
»Womit?«
»Dass Amyrantha vernichtet wird, wenn sich der Spalt wieder schließt.«
»Ich glaube nicht, dass von Jelidien viel übrig bleibt«, räumte Lukys ein und warf Kentravyon einen kurzen bedeutungsvollen Blick zu. »Aber Pellys überlebt schon. Was den Rest von Amyrantha angeht … Nun, das Abschmelzen der Polkappen dürfte sich nicht allzu gut auswirken, aber sie haben schon viele Weltenenden überstanden. Ich bin sicher, sie kommen wieder auf die Beine. Irgendwann jedenfalls.«
»Was schert dich das überhaupt noch, Cayal?«, fragte Taryx. »Du bist doch eh bald tot, schon vergessen?«
Cayal starrte sie an, und ihn beschlich der nagende Verdacht, dass er gerade zum Besten gehalten wurde. Energisch schob er den Gedanken beiseite. Die Flut kam – hier, knapp außerhalb der Kammer, spürte selbst Cayal die gewaltige Zunahme der Macht, wenn auch gedämpft -und Taryx hatte recht. Schon sehr, sehr bald würde er tot sein.
»Ihr habt recht. Es schert mich nicht«, sagte er, mehr zu sich selbst als zu den anderen. Dann packte er die Spitzhacke, holte aus und schlug sie in das Eis über dem Eingang zur Kammer. Er hoffte, der Rest seiner nagenden Zweifel würde unter der herabstürzenden Decke begraben, und er würde endlich Frieden finden.
57
Pellys war hellauf begeistert, Declan und die anderen Unsterblichen zu sehen. Vermutlich weil er davon ausging, dass sie hier waren, um zu helfen. Er hatte
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