Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 4 - Der Kristall des Chaos
in selten guter Stimmung. Das konnte am bevorstehenden Gezeitenwechsel liegen, oder es war die Aussicht auf die neuesten Geschichten der anderen. Cayal kam auf die Beine und streckte sich, wobei er sich am Flussufer umsah. »Wollen wir allmählich los? Das ist schon eine kleine Wanderung.«
Declan erhob sich, setzte seine Sonnenbrille auf und fiel neben Cayal in Schritt. Sie gingen am Fluss entlang und hielten auf die Brücke zu. Eine Weile marschierten sie schweigend, dann fiel Declan etwas ein, worüber er schon nachgedacht hatte, bevor er durch den Spalt gefallen war und sie auf dieser Welt landeten.
»Du hast mir nie zu Ende erzählt«, sagte er, während sie die Straße entlang schlenderten, »was in Kordana passiert ist.« Das letzte Mal, dass sie sich über den Weg gelaufen waren, war während des Zweiten Weltkriegs in London gewesen. Sie fanden sich bei einem deutschen Luftangriff im selben Schutzraum wieder. Cayal hatte sich gelangweilt, und sie waren ins Schwatzen geraten. Schließlich hatte er sich überreden lassen, Declan endlich von der Zerstörung Kordanas zu erzählen. Aber die Sirenen heulten Entwarnung, bevor er zum Ende der Geschichte gekommen war.
»Hab ich nicht?«
Declan schüttelte den Kopf. »Du warst gerade da, wo du an Thraxis’ Herd erstochen wurdest und die Erfahrung überlebt hattest. Und da war doch auch ein Mädchen im Spiel, soweit ich mich erinnere. Serena? Selena?«
»Sirella«, berichtigte Cayal mit einem schwachen Lächeln. »Weißt du was, das kleine Miststück brachte nichts als Ärger. Sobald ich sie traf, hatte ich Scherereien am Hals. Sie ist der Grund – indirekt –, warum Kordana zerstört wurde.«
»Hast du nicht gesagt, das war Tryans Schuld?« Sie bogen an der Brücke nach rechts ab und ließen den Fluss hinter sich. Auf der Avenue de Suffren näherten sie sich dem Hotel. Sie beide kannten die Stadt gut genug, um nicht nach dem Weg fragen zu müssen.
»Ja, das stimmt schon, aber sie war der Katalysator. Versuch nie eine Frau zu überzeugen, dass du sie liebst, Ratz, wenn in deinem Zimmer eine andere sitzt, die dasselbe von dir denkt.«
»Es spricht nicht gerade für deinen Intellekt, wenn du solche Binsenweisheiten als Erkenntnisse feierst.«
Der unsterbliche Prinz sah ihn belustigt von der Seite an. »Du gehst in diesem Anzug in die Öffentlichkeit und wagst es, meinen Intellekt infrage zu stellen?«
Cayal schob die Hände in die Hosentaschen und sparte sich weitere Sticheleien. Die Zeit schien den unsterblichen Prinz irgendwie milder gemacht zu haben – nicht die paar Tausend Jahre, die er auf Amyrantha gelebt hatte, als Declan ihm begegnete, sondern die Äonen, die seitdem vergangen waren. Zwar hatte es, nachdem sie in diese Welt gefallen waren, noch etliche tausend Jahre gedauert, aber irgendwann hatten sich Cayals Todessehnsucht als das erwiesen, was Lukys immer behauptet hatte – eine Phase, aus der er schließlich herauswuchs.
Declan selbst hatte eine ähnliche Phase erlebt. Glücklicherweise hatte er seine Melancholie als das erkannt, was sie war, und nicht versucht sich umzubringen und dabei den ganzen Planeten mitzunehmen wie Cayal auf Amyrantha.
»Also, was ist passiert? Schieß los, solange du in der Stimmung bist, es mir zu erzählen.«
»Das Mädchen, mit dem ich mich über den Schmerz hinwegtrösten wollte, die Liebe meines Lebens verloren zu haben, beschloss, dass der Preis für ihren Trost der Thron von Kordana sei.«
Das war nicht die Antwort, die Declan erwartet hatte, und er wurde entschieden neugierig. Aber alte Gewohnheiten waren schwer aufzugeben. »Also hattest du schon damals diese fatale Schwäche für Frauen, die du dir nicht leisten kannst?«
Bemerkenswerterweise reagierte Cayal gar nicht auf die Spitze. Stattdessen lächelte er leise in sich hinein. »Gezeiten, sie war so was von scharf, die gute Sirella. Scharf, gerissen und beängstigend gierig. Sie war die Geliebte eines Gezeitenfürsten, und sobald sie begriff, was das bedeutet, duldete sie niemanden mehr, der ihren Ambitionen im Weg stand.«
»Was hat sie gemacht?«
»Sie fing an, sich wie meine Königin aufzuführen«, sagte Cayal. »Ich meine, anfangs bestach mich wohl der Reiz des Neuen, nehme ich an. Sie schien so glücklich, mit mir zusammen zu sein. Was ich nicht wusste – oder erst erfuhr, als es zu spät war –, war, dass es in ihrem bösartigen kleinen Köpfchen einen regelrechten Schlachtplan gab. In Sirellas Welt musste meine Schwester sterben, und ich
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