Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 4 - Der Kristall des Chaos
Notwendigkeit, sie unberührt zu lassen, gegen seinen Drang ab, sich körperlich Erleichterung zu verschaffen.
Die Vernunft siegte. Knapp. Er brauchte Arkady heil und unversehrt, und seiner Drohung zum Trotz ging er nicht so weit, sich an einem ungewaschenen Hilfskellner schadlos zu halten.
Jaxyn zog die Gezeiten wieder an sich und umhüllte Arkady und ihren Vater mit Fesseln aus Luft – eine Technik, die genug Konzentration erforderte, um seine fleischlichen Gelüste fürs Erste abzudrängen. Ohne ein weiteres Wort schob er die beiden zur Tür hinaus, wo das Unwetter jetzt genauso schnell abzog, wie es sich zusammengebraut hatte.
Wenn er die beiden hinter seinem Pferd hergehen ließ, würden sie über eine Stunde brauchen, um zum Palast zurückzukehren. Eine Stunde im Sog der Gezeiten, um ihre Fesseln aufrechtzuerhalten. Eine Stunde, um die steigende Flut zu genießen und sich in ihrer magischen Glut zu aalen.
Und wenn er im Palast ankam … doch, es war ganz gut, dass Lyna da war. Vielleicht war es mal an der Zeit, dass sie sich den Titel Verlobte verdiente.
17
Es kostete sie eine Woche, den Ozean von Stevanien nach Torlenien zu überqueren. Die drei Unsterblichen wechselten sich in den Gezeiten ab, um ihr Strohdach-Floß knapp über der Meeresoberfläche dahingleiten zu lassen. Von der Anstrengung war Declans Blut in ständiger Wallung, aber allmählich gewöhnte er sich daran. Wie Cayal gesagt hatte, als sie Declan das erste Mal ans Ruder ließen: Es wird vorhersehbar. Es wird sogar irgendwie erduldbar. Aber besser wird es nie.
Das hatte Declan in den letzten Tagen am eigenen Leib erfahren. Obwohl er sich fühlte, als rinne heiße Lava durch seine Adern, hatte er einen Punkt aufgespürt, an dem es sich ertragen ließ. Eigentlich musste man nur gewissermaßen einen Schritt neben sich treten und dann loslassen.
Entweder das, oder man verliert den Verstand, dachte Declan. Aus dem Augenwinkel starrte er oft verstohlen zu Kentravyon hinüber, immer noch wie betäubt von dem, was der Wahnsinnige getan hatte. Auch wenn sie kein Wort mehr darüber gesprochen hatten, sah Declan die Reihen der Toten in der Tempelruine vor sich, wann immer er die Augen schloss. Manchmal war es doch gut, dass Unsterbliche keinen Schlaf brauchten. So mussten sie weder ihren Träumen gegenübertreten noch ihren Albträumen ins Auge sehen.
Declan durchdachte dieses faszinierende Phänomen, indes er mit Gezeitenkraft auf die Küste von Torlenien zuhielt. Der braune Schmutzfleck am Horizont wurde zusehends größer. Kentravyon und Cayal lagen neben ihm auf dem Strohfloß – Cayal auf dem Rücken, die Arme hinter dem Kopf verschränkt und scheinbar schlafend, während Kentravyon auf dem Bauch lag, den Kopf über den Rand hängen ließ und sich mit Gezeitenfischen vergnügte.
Das Gezeitenfischen war ein Spiel, das Kentravyon offenbar eigens zu seinem Zeitvertreib auf dieser Reise ersonnen hatte. Als hätte der Zwischenfall in Schwarzborn niemals stattgefunden, lümmelte er sich sorglos am Rand ihrer schwankenden Plattform, eine Hand im Wasser, und benutzte die Gezeiten, um sein Gleichgewicht zu halten. So weit Declan seine Absicht deuten konnte, wollte er wohl Fische fangen. Ein ziemlich aussichtsloses Vorhaben angesichts ihrer Geschwindigkeit und der Tatsache, dass sie direkt über einen beachtlichen Schwärm geraten müssten, damit er überhaupt mal einen größeren Fisch zu Gesicht bekam, geschweige denn zu fassen kriegte. Gelegentlich dirigierte er Declan in die eine oder andere Richtung in der Hoffnung, auf einen Schwärm dicht unter der Oberfläche zu stoßen, doch bislang war ihm nichts anderes geglückt, als ein paar kleine Fischlein mit seinen Fingerspitzen zu streifen. Die Unausführbarkeit seines Unterfangens schien ihm ebenso wenig auszumachen wie die Albernheit seines Treibens. Dafür war er schließlich unsterblich. Unmögliche Aufgaben hatten den Vorteil, dass sie andauerten und man sich daher länger damit die Zeit vertreiben konnte.
Zumindest hatte Kentravyon es Declan so erklärt. Und es war sicher eine bessere Beschäftigung, als unschuldige Verwundete zu ermorden.
»Ein bisschen nach links«, befahl Kentravyon, ohne vom Wasser aufzublicken. »Einen hätte ich fast erwischt.«
Declan hielt das für unwahrscheinlich und schüttelte leicht den Kopf, aber er tat Kentravyon den Gefallen, lenkte ihr Strohfloß (das er als Transportmittel nicht halb so romantisch fand wie einen fliegenden Teppich) ein wenig
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