Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 4 - Der Kristall des Chaos
sicherzugehen, dass sie es sich aus dem Kopf schlugen, ihn zu häuten, fasste er zusammen: »Wir reisen schnell weiter und benutzen Kentravyons Umhang. Wenn wir nach Elvere kommen, finden wir sicher etwas Geeigneteres.«
»Nur dass wir nicht in Elvere anhalten«, sagte Cayal. »Kein Halt mehr in Torlenien, wenn wir es vermeiden können. Unsere nächste Station sind die Inseln von Chelae.«
»Aber erst wird gegessen!«, verkündete Kentravyon und hielt stolz seinen ausgeweideten Hauptgewinn hoch.
»An dem verflixten Ding ist nicht genug dran für ein verhungerndes Kleinkind«, protestierte Cayal stirnrunzelnd.
»Dann ist es ja gut, dass es hier keine verhungernden Kleinkinder gibt«, versetzte Kentravyon und warf den Fisch kurzerhand ins Feuer. Es zischte und qualmte heftig, und bei dem Gestank von verbrannten Schuppen war Declan heilfroh, dass er nicht unbedingt essen musste, wenn er keine Lust dazu hatte. Wenn jetzt sein Überleben an diesem bisschen verkohltem Fisch hinge, wäre er ganz schön in der Klemme.
»Wenn wir so in Eile sind«, Declan zerrte jetzt an seinem linken Stiefel, »haben wir dann überhaupt Zeit zum Essen?«
»Wir haben Zeit«, sagte Cayal. »Sofern Brynden sich nicht hinter dem nächsten Hügel versteckt, ist es unwahrscheinlich, dass er uns vor morgen früh aufstöbert.«
» Unwahrscheinlich?«
»Ein Risiko gibt’s immer, Ratz, ungeachtet der Wahrscheinlichkeiten. Du selber bist das beste Beispiel.«
Declan zog sich seinen zweiten Stiefel vom Fuß und schüttete das Wasser heraus, bevor er antwortete. »Wenn du dich schon mit Wahrscheinlichkeitsrechnung befasst, Cayal, dann überleg doch mal, wie die Chancen stehen, dass ich dir in naher Zukunft noch mal helfe, wenn du mich pausenlos beleidigst.«
Cayal schien nicht sonderlich beeindruckt von Declans Warnung. »Vielleicht sorge ich bloß dafür, dass du mich wirklich tot sehen willst, Dummbatz.«
»Im Augenblick stelle ich es mir unterhaltsamer vor, dich leiden zu sehen, Cayal.«
»Das wird sich ändern«, erwiderte Cayal zuversichtlich. »Wenn es hart auf hart kommt, wirst du mich ansehen und finden, dass deine Welt besser dran ist, wenn ich tot bin.«
»Und darauf baust du?«
»Wie auf –« Cayal brach unvermittelt ab und sah sich um.
Da spürte Declan es auch – die leichte Kräuselung der Gezeiten, die das Nahen eines Unsterblichen ankündigte. Sie sprangen gleichzeitig auf die Füße. Nur Kentravyon war völlig mit seinem Fisch beschäftigt und ließ sich nicht stören.
»Von dort«, sagte Cayal und wies landeinwärts.
Declan drehte sich um und blinzelte in die langsam aufziehende Dunkelheit. »Kannst du erkennen, wer es ist?«
Cayal schüttelte den Kopf. »Jedenfalls nicht Brynden. Dafür sind die Wellen zu schwach.«
»Also Kinta?«
»Wahrscheinlich.«
Sie warteten. Die näher kommende unsterbliche Präsenz summte durch Declans Nervenbahnen, die immer noch überempfindlich waren wie gespannte Drähte, die der Wind zum Singen bringt. Gleich darauf tauchte auf der Kuppe der Düne hinter ihnen ein Streitwagen auf, gezogen von zwei gleich großen, ebenmäßigen Grauschimmeln. Der Wagenlenker war nach torlenischer Sitte verschleiert, woraus Declan schloss, dass es sich um eine Frau handelte. Sie ließ die Pferde anhalten und ihren Blick über den Strand schweifen. Dann schwenkte sie schräg zur Düne ein und kam im Galopp den Hang herabgestürmt.
Die Männer standen abwartend da, während sie über den feuchten Sand auf sie zustob. Dicht vor ihrem Feuer brachte sie die Pferde zum Stehen und stieg von ihrem Streitwagen ab, machte aber zunächst keine Anstalten, sich zu erkennen zu geben. Durch den schmalen Schlitz ihres reich bestickten Schleiers streiften dunkle Augen kurz und abfällig Cayals nackte Gestalt. Ein neugieriger Blick traf Kentravyon, der noch im Sand hockte und seinen Fisch briet. Dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit Declan zu.
Jetzt hob sich der Schleier und enthüllte eine stattliche blonde Frau in einem fein gewirkten vergoldeten Brustharnisch und kurzem ledernen Kriegerrock. Sie starrte ihn an und runzelte die Stirn.
»Ich bin Kinta«, sagte sie auf Torlenisch, »Gefährtin meines Fürsten Brynden, dem wahren Herrscher von Torlenien. Ich weiß wohl, wer die zwei da sind und was für Ärger sie mit sich bringen. Aber wer zum Henker seid Ihr?«
18
Kinta erfüllte alle Erwartungen, die man nach Arkadys Berichten nur haben konnte – und übertraf sie noch. Sie war eine hochgewachsene Frau,
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