Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 4 - Der Kristall des Chaos
gegenüber die Friedfertige spielte und für die Pläne der Familie nur das Allernötigste tat, um sie nicht argwöhnisch zu machen. Und inzwischen verfolgte sie ihr eigentliches Ziel.
Warlock war ziemlich sicher, dass ihre Ambitionen größer waren, als ihre Brüder ahnten. Und am Ausgang dieses Krieges war ihr so wenig gelegen, weil sie den Stein, sobald sie ihn hatte, benutzen wollte, um den ganzen Kontinent für sich allein zu haben. Warlock interessierte es herzlich wenig, was sie ihrer Familie oder den anderen Unsterblichen antun wollte, solange nur seine Welpen in Sicherheit und aus ihrer Reichweite waren. Wenn er dafür jetzt noch länger den unterwürfigen Crasii spielen musste, dann war er dazu bereit.
Er erreichte das Ufer und damit den rußigen Graben, in dem es an einigen Stellen immer noch schwelte und rauchte. Warlock zog eine Grimasse, als der beißende Mief von verbranntem Pech in seine feine Nase drang. Er eilte durch den Wald auf die Lichtung zu, wo die Pferde angebunden waren, und war erleichtert, als der Gestank, der ihn umgab, allmählich dem frischen, sauberen Geruch von Schnee und Wald wich. Noch ehe er die Lichtung erreichte, murmelte er den Pferden beruhigend zu, denn er spürte schon ihre Unruhe. Elyssas Zelter wartete noch brav an dem Baum, wo Warlock ihn in sicherer Entfernung von den Flammen angebunden hatte, aber sein eigenes Reittier hatte irgendwie seine Zügel abgestreift und wanderte gerade in Richtung Arbeiterlager davon.
Mit einem Fluch nahm er die Verfolgung auf, nur um wie angewurzelt stehen zu bleiben, als seine empfindliche Nase einen neuen Geruch einfing. Diese Witterung war beängstigend vertraut und noch erheblich übler und fauliger als der Gestank von verbranntem Pech.
Warlock wirbelte herum. Er hörte die Neuankömmlinge, noch bevor er sie sah. Instinktiv duckte er sich außer Sicht. Der Gestank von ihm unbekannten Suzerain war so stark, dass da mehr als nur einer im Anmarsch sein musste. Und er hatte keine Ahnung, wer sie waren. Sämtliche Unsterblichen in Caelum und Glaeba, von denen Warlock wusste, waren ein gutes Stück nördlich von hier in die Schlacht verwickelt. Rasch ging er sie in Gedanken durch: Elyssa war hier bei ihm, Krydence und Rance lenkten die Schlacht draußen auf dem Eis, und Tryan überblickte den Kampf von der Stadt aus. Syrolee und Engarhod hockten inzwischen im Palast und hatten ein Auge auf die Königin von Caelum, die sie unter Drogen gesetzt hatten und die überhaupt nicht mehr mitbekam, was im Land vorging – trotzdem ließ man sie lieber nicht unbeaufsichtigt, solange die Unsterblichen auf dem Kriegspfad waren, damit sie nicht auf irgendwelche verrückten Gedanken kam. Wie zum Beispiel, sich zu ergeben.
Warlock fürchtete spontan, dass Jaxyn mehr unsterbliche Helfer hatte, als sie wussten. War das die Vorhut eines Überraschungsangriffs? War es Jaxyn gelungen, insgeheim weitere Unsterbliche auf seine Seite zu ziehen? Unsterbliche, die das Eis im Schutz der Dunkelheit überquert hatten und jetzt von Süden her vorrückten, um sie aus dem Hinterhalt anzugreifen?
Wie lange wird es dauern, bis Elyssa spürt, dass sie hier nicht allein ist?
Vielleicht war sie ja zu abgelenkt von der Schlacht und der Wahrnehmung, wie Jaxyn im Gezeitenstrom seine Feliden wiederbelebte, sodass sie gar nicht merkte, dass hinter ihr weitere Unsterbliche im Anmarsch waren.
Warlock war vor Unschlüssigkeit wie gelähmt. Er hatte keine Ahnung, wie ein echter Crasii in so einer Situation reagieren würde. Jetzt ein falscher Schachzug, ja, nur ein falsches Wort, und er würde auffliegen. Dann würde er niemals von hier fortkommen, Boots und seine Welpen nie wieder sehen …
Während er noch hinter den Büschen kauerte und sich das Hirn zermarterte, was er tun sollte, wurde ihm die Entscheidung abgenommen. Drüben auf der anderen Seite des ausgebrannten Pechgrabens tauchten sehr plötzlich drei Gestalten auf. Sie trugen unauffällige Kleidung, die gar nichts darüber sagte, wer sie waren. Nur Warlocks Nase war von dem überwältigenden Suzerain-Gestank erfüllt.
»Gezeiten«, sagte der vorderste Unsterbliche und machte einen taumelnden Schritt. Warlocks Sicht war zwar etwas von den Büschen verdeckt, aber es kam ihm so vor, als sei der Mann eben noch irgendwie über den Boden geschwebt, statt darauf zu gehen. »Was stinkt denn hier so?«
»Sie haben die Pechgrube abgefackelt«, sagte der zweite Unsterbliche, und beim Klang seiner Stimme setzte Warlocks Herz einen
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