Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 4 - Der Kristall des Chaos
niederschmetternde Erkenntnis in ihr breit, dass es jetzt keine Hoffnung mehr gab. Eine dritte Fluchtchance würde sie nicht bekommen.
Die Felide kam rasch auf sie zu und zog ein Messer aus dem Gürtel. Der Lärm rings um sie war grauenhaft, die Luft erfüllt mit Schreien, Rauch und Tod und dem beißenden Gestank von brennendem Fell.
»Lord Jaxyn wird es nicht gefallen, wenn du uns abstichst!«, schrie Arkady und fragte sich, ob sie sich aus dieser Lage noch herauspokern konnte.
Chikita trat dicht an sie heran, packte Arkadys Arm und zwang sie, sich zu ihr herabzubeugen. »Es wird ihm noch viel weniger gefallen, wenn er denkt, dass ich Euch habe entkommen lassen«, sagte ihr die Felide direkt ins Ohr. »Ich kann Euch nur einen kleinen Vorsprung geben, Mylady. Danach seid Ihr auf Euch allein gestellt.«
Die kleine rötliche Kriegerin drückte ihr das Messer in die Hand und ließ sie los, dann fügte sie eine Spur lauter hinzu: »Tilly lässt Euch übrigens grüßen.«
Gezeiten, erkannte Arkady. Chikita ist ein Ark. Und sie arbeitet für die geheime Bruderschaft.
Arkady brauchte keine zweite Aufforderung. Sie wirbelte herum und packte ihren Vater am Ärmel, aber er schüttelte sie ab. »Ohne mich kommst du weiter.«
»Nein!«, sagte Arkady. »Ich lasse dich nicht hier! Er wird dich umbringen!«
»Ohne dich wäre ich doch längst tot, Arkady«, sagte er, und seine Augen wurden feucht. »Ich fürchte den Tod nicht.«
»Mylady, Ihr müsst Euch beeilen!«, drängte Chikita hinter ihr.
»Geh!«, beharrte Bary. »Ich gebe dir Rückendeckung.«
»Ich kann dich nicht zurücklassen, Papa! Nicht, wenn ich dich retten kann!«
»Du kannst mich nicht retten, Arkady«, sagte er und umarmte sie hastig. »Los jetzt. Lass dich ein Mal im Leben von mir retten.«
Obwohl sie innerlich voller Zwiespalt war, dies war nicht der Ort noch der Zeitpunkt zum Diskutieren. Ihr Vater schien unbeirrbar, und er hatte recht – ohne ihn konnte sie viel weiter und schneller flüchten.
Aber wie konnte sie ihn hier zurücklassen?
Wie konnte sie bleiben?
»Los!«, befahl er. »Tu ein Mal im Leben einfach nur, was ich dir sage.«
Wenn sie doch nur etwas Zeit zum Nachdenken hätte. Zeit, um etwas anderes zu empfinden als Dankbarkeit. Danke, sagte sie tonlos zu der Felide und ihrem Vater, steckte das Messer ein, drehte sich um und stürzte sich in das Chaos. Ihr blieben nur noch wenige Augenblicke, ehe Chikita Alarm schlagen und ihrem unsterblichen Gebieter berichten musste, dass Arkady und ihr Vater einen Fluchtversuch gemacht hatten, andernfalls riskierte sie, selbst als Spionin enttarnt zu werden.
Also rannte Arkady. Nicht zurück in Richtung Glaeba, sondern schräg nach vorn, mitten durch den Rauch, die zuckenden verbrannten Körper und die panischen Feliden. Sie rannte in halbwegs nördlicher Richtung diagonal über das Eis und zwang sich ausdrücklich, nicht daran zu denken, was sie hinter sich ließ. Nach Cycrane konnte sie nicht flüchten. Auch wenn Stellan dort war und sie wohl auf seinen Schutz zählen konnte, war es immer noch möglich, dass Jaxyn als Sieger des Tages aus diesem Tumult hervorging. Nur die vordersten Truppen seiner riesigen Armee waren von den Feuerwänden dezimiert. Er hatte immer noch jede Menge Kampfkatzen in der Hinterhand, und sobald er sie wieder unter Kontrolle bekommen hatte, würde die Schlacht mit voller Kraft weitergehen.
Wieder und wieder glitt sie auf dem rutschigen Eis aus, doch sie kämpfte sich durch das Chaos voran, blendete die Hilfeschreie der verbrannten Crasii aus, verdrängte die nagenden Schuldgefühle, weil sie ihren Vater zurückgelassen hatte. Sie überquerte die schwarzen Linien im Eis, die, wie sie jetzt am Geruch erkannte, mit Pech oder Öl gefüllt gewesen sein mussten. Irgendwann stolperte sie die schneebedeckte Uferböschung hoch und merkte, dass sie es aus der Kampfzone geschafft hatte.
Ohne innezuhalten oder sich noch einmal umzusehen verhärtete Arkady ihr Herz und wandte sich gen Norden, landeinwärts, fort von der Stadt, fort von der Schlacht, fort von ihrem Vater und den Schreien der verbrannten und sterbenden Crasii, die an diesem Morgen auf dem Altar der unsterblichen Machtgier geopfert worden waren.
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Wie die meisten Caniden hatte Warlock nichts für Feliden übrig, normalerweise war ihr Schicksal ihm herzlich egal. Aber nachdem er einen ganzen Tag lang hatte zusehen müssen, was mit den Feliden geschah, die zwischen den Feuern auf dem Eis in der Falle saßen,
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