Falsch
Königin.«
»Auch Königinnen können ersetzt werden«, erwiderte Claessen grinsend. »Nur der König überlebt bis zum Schluss.«
»Pass nur auf, dass ich dir nicht das Schachbrett unter deinem Hintern anzünde«, fauchte Hanna. »Vorher schneide ich dir noch deine kostbare Haut in handliche Quadrate und schicke sie an den Reichsführer- SS mit einer Widmung.«
Claessen blickte ihr unbewegt in die Augen, die nun im Licht der Kerzen fast dunkelblau waren. »Bevor du an mich herankommst, bist du tot, Hanna«, meinte er leidenschaftslos.
»Ich brauche mich gar nicht anzustrengen«, bemerkte die junge Frau und zuckte mit den Schultern. »Das würden andere mit Freuden übernehmen.«
»Du meinst die, mit denen du geschlafen hast? So wie Darrey?«
Claessen stand am Klavier und starrte ins Leere. Die Dämmerung stieg langsam über die Berge im Osten, die schwarzen Silhouetten der Bäume wurden bläulich. Der Mann im weißen Smoking war in Gedanken versunken, die ihn weit wegführten – weg von Hanna, von Meran, vom Krieg. Heim nach Hannover oder was davon noch übrig war …
Plötzlich drehte er sich um. »Dieser Krieg geht bald zu Ende, glaub mir, und dann beginnt unsere Arbeit erst richtig«, murmelte er. »Verlass dich nicht zu sehr auf deine Unersetzlichkeit.« Sein Blick fiel auf das Zigarettenpapier. »Ich möchte wissen, wer sich hier so brennend für uns interessiert. Sicher kein Faschist, kein Deutscher und kein Partisane, der hätte mich abgeknallt und nicht zweimal nachgedacht. Nein, nein … Wen gibt es noch in diesem Spiel vor der Götterdämmerung? Die Engländer können doch gar nichts wissen. Aber andererseits, Zufälle passieren …« Nachdenklich drehte er das Päckchen zwischen den Fingern und ging zur Tür. »Wann hast du eigentlich mit Darrey geschlafen?«, fragte er wie nebenbei. »Hat es dir gefallen?«
»Mäßig, aber es war besser als mit Stefano Bonazzi.« Hanna schlug einen e-Moll-Akkord an. Es klang schräg.
»Wer zum Teufel ist Bonazzi? Muss ich ihn kennen?«
»Wenn mich nicht alles täuscht, dann heißt unser Unbekannter vom Berghang so. Er hat einen Stadtplan von London in seinem Schreibtisch und raucht Zigaretten« – sie wies auf das Päckchen in seiner Hand – »dieser Marke.«
Claessen fuhr herum, starrte sie an. Sein Gesicht war grau geworden. Mit zwei Schritten war er bei Hanna, packte sie bei den Schultern und schüttelte sie mit aller Kraft. »Woher weißt du das?«, schrie er sie an. »Woher kennst du ihn? Wieso …?« Er brach unvermittelt ab. »Natürlich, du hast mit ihm geschlafen! Du dummes Weibsstück bist mit ihm ins Bett gegangen, du hast ja nichts anderes im Kopf. Du hast uns an die Engländer verraten. Deshalb wusstest du von dem Treffen mit Darrey …«
Er schleuderte Hanna in den nächsten Lehnsessel, als das Telefon klingelte. Wütend hob er den Hörer ab und brüllte »Ja!«
»Die Heeresleitung Süd ist in der Leitung, General Reinke möchte Sie sprechen.« Der diensthabende Telefonist im Schloss klang trotz der frühen Morgenstunden völlig geschäftsmäßig.
»Ja, stellen Sie durch«, erwiderte Claessen unwirsch.
Es knackte. Durch das Rauschen und Knattern drang mühsam die Stimme eines Adjutanten, der dienstbeflissen erklärte, dass er nun mit dem General verbinden werde.
»Mann, die Leitung ist ja beschissen«, rief Claessen aus. »Von wo rufen Sie eigentlich an? Von einer Telefonzelle auf dem Mond?«
»Nein, Obersturmbannführer, vom Palazzo Verità Poeta in Verona. Es ist eine provisorische Leitung, weil im Bereich von Salurn Partisanen die Kabel dreimal gekappt haben«, versuchte der Adjutant zu erklären, obwohl der Großteil seiner Worte in einem schrecklichen Jaulen unterging.
Zuerst merkte Claessen gar nicht, dass Reinke bereits am Apparat war, doch plötzlich wurde es ruhig in der Leitung, und die aufgeregte Stimme des Generals drang an sein Ohr: »Claessen, hier Reinke. Es ist Zeit für Sie, zu verschwinden! Ich habe erfahren, dass selbst höchste Stellen inzwischen mit den Amis in Verbindung stehen und verhandeln. Sollte es zu einer geheimen Absprache kommen, dann sind wir hier in Italien als Erste dran. Wie Sie wissen, kontrollieren wir die Straßen in die Schweiz zwar noch, aber die Löcher im Netz werden größer und größer. Die Amerikaner fliegen Bombenangriffe auf die Nachschubzüge über den Brenner, wir können die Berge nicht mehr kontrollieren, nur noch die Täler. Die Lage wird immer unhaltbarer. Wenn wirklich jemand
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