Falsche Brüder
kamen, der eine größere
Ansammlung von Fahrzeugen aufwies, hielten wir erneut. Und
hier erfuhren wir zwar Widersprüchliches, doch Definitives
über den Frontverlauf. Kannte man die Art und Weise des
Vorgehens der Invasoren, die Gegend, in der das geschah, vor
allem aber die Taktik der eigenen Truppen, so konnte man sich
schon ein Bild machen. Danach hatten die Invasoren nach einer
Pause, in der sie das okkupierte Gebiet nach Osten bis zu einer
nicht bestimmbaren Linie und im Westen bis zum Fluss
Könkämä ausdehnten, die Frontlinie über Inari hinaus nach
Süden vorgeschoben.
Es gab die unterschiedlichsten Augenzeugenberichte,
widersprüchlich und verschwommen. Aber es galt als sicher,
dass ursprünglich nicht weniger als drei und nicht mehr als fünf
Raumschiffe südlich des Varangerfjords gelandet waren.
Obwohl voll gestopft mit den grünen Kugeln, Disken, Greifern,
Schildkröten und anderen Gerätschaften, blieb es dennoch
unbegreiflich, wie sie eine derart lange Frontlinie besetzen und
diese kontinuierlich nach Süden vorschieben konnten. Denn das
taten sie, langsam, aber unaufhaltsam, darin stimmten die
Berichte überein, und nach ihrer bekannten Taktik: ElektroblitzArtillerie-Vorbereitung, Nachrücken der Schildkröten,
Vernichten der Widerstandsnester der Menschen aus der Luft
oder mit den Scherenstrahlen. Obwohl die Befragten über
grausige Massaker berichteten, konnte ich abschätzen, dass sich
die Verluste bei einer einigermaßen klugen Rückzugstaktik –
etwas anderes war wohl in den verflossenen zehn Tagen nicht
zu erwarten gewesen, und die Verteidigungslinie wurde offenbar
erst bei Ivalo aufgebaut – in Grenzen halten mussten. Denn
außer einigen abenteuerlichen Einzelaktionen nach Art eines
Hugh konnte ich mir keinen Widerstand vorstellen.
Wir trafen auf diesem Rastplatz niemanden, der unmittelbaren
Kontakt mit den Fremdlingen gehabt, der – außer einigen
Kriegsmaschinen – etwas von ihnen gesehen hatte. Keiner
wusste auch, ob man weiteren Exemplaren der Grünen habhaft
geworden war. Eins jedoch schien sich in diesen zehn Tagen
verändert zu haben: Die Evakuierung der Einwohner
funktionierte besser, rechtzeitig und ohne Hektik. Wenn den
Aussagen Glauben zu schenken war, dann operierten die
Fremden auch mit Stoßtrupps vor der Front. Der Sinn solcher
Aktionen allerdings blieb mir verschlossen, und die zwei
Soldaten, die davon berichteten, hatten ebenfalls nur von solchen
Vorkommnissen gehört.
Als wir im Jeep der Werferkolonne hinterherjagten, saß
Kladivo mit verschlossenem Gesicht – soweit man das hinter
dem Haarwust überhaupt beurteilen konnte. Dann drehte er sich
mir zu. „Sag, kann das stimmen, was die erzählen?“
Ich nickte. „Doch.“
Da fragte er bitter und herausfordernd: „Was haben wir da für
eine Chance, kannst du mir das sagen?“
Zunehmend missfiel mir die Haltung dieses uniformierten,
kräftigen Mannes. Wieder sah ich die ernsten Gesichter der
jungen Leute vor mir. Wie sollten sie wohl in den Kampf
gehen, wenn sich schon ihre Offiziere so offenkundig
unentschlossen, desengagiert, vielleicht sogar ängstlich gaben!
Ich sann diesen Gedanken nach.
Vor einigen Tagen erst bin ich auf genau dieser Straße nach
Süden gefahren, habe die Reise als lästig, überflüssig,
die
Konsequenz Dagmars als falsch und meinen Hang, weg von der
Front, als das Normalste empfunden. Was hat mich von
diesem Kladivo unterschieden? Nun, jener ist schon Offizier,
hat sich irgendwo dieses Vertrauen erworben. Andererseits, wer
musste nicht heutzutage alles Offizier werden, ohne die geringste
Bewährung… Immerhin, er befehligt – oder sollte befehlen –
dreißig Werferbatterien, das sind mit dem Tross
zweihundertfünfzig Fahrzeuge und mehr als zweitausend Mann.
Das rollte nun diesem unbarmherzigen Gegner entgegen. Wie
sah’s in diesen Herzen und Hirnen aus?
Ich verglich wiederum mit mir. Aber seitdem war Zeit
verflossen, eine Zeit, die Veranlassung gegeben hatte, sie
intensiv zu nutzen. Ich fuhr damals unbefangen an die Front,
ohne eine brauchbare Information. Auf dem Transport in den
Zügen, im Bus hatten wir gesungen. Wir zogen unbekümmert,
weil unwissend und unvorbereitet, von ebenfalls Unerfahrenen
in die Gefahr, den ungleichen Kampf geführt. Heute, heute
könnte, müsste das schon anders aussehen. Jeder hat von den
Verlusten gehört, hat Schmerz erlebt, den Nachrichten von der
Front ausgelöst hatten. Und zumindest die Offiziere müssten der
schwierigen
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