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Falsche Brüder

Falsche Brüder

Titel: Falsche Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
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Offizier
zusammengekauert wartete.
„Warum hast du den defekten Wagen nicht einfach
ausrangiert?“, fragte ich.
Er antwortete nicht sogleich. „Ich dachte, es ginge schneller“,
bemerkte er dann obenhin. „Wenn du einmal angefangen hast…
Ich bin aus der Branche. Und“, mit einem Seitenblick aus dem
Bartgestrüpp heraus auf mich und seinen Begleiter, „so eilig
habe ich es nicht. Es soll nicht gerade erholsam sein – dort.“
Ich antwortete nicht, nickte leicht, schwang mich neben den
jungen Mann in den Fond des Wagens, und noch einmal
defilierten in Gedanken die vielen jungen Männer vorbei, die ich
an den Fahrzeugen gesehen hatte. Wie viele von ihnen werden
ihre letzte Reise angetreten haben?
Kladivo sprach per Funk mit der Besatzung des
Schlusswagens. Dann gab er Befehl zum Losfahren, und die
Kolonne setzte sich langsam in Bewegung.
Später, nach der Einmündung der Fernstraße fünf, die vom
Osten, von Salla, nach Rovaniemi führte und auf der ich vor
Stunden getrampt war, wurde der Verkehr wesentlich reger. Die
Wagenschlange hielt sich scharf rechts, um die schnelleren
Transporter, voll gepackt mit Versorgungsgütern, Waffen und
auch Soldaten, nicht zu behindern. Auch der Gegenverkehr
hatte zugenommen. Flüchtlingswagen, gemischt mit meist leeren
Militärautos. Einmal gewahrte ich den verstörten Blick Kladivos,
als links von uns, gut sichtbar, eine Gruppe bandagierter,
verwundeter Kämpfer zurückfuhr
– mit blutbetupften
Verbänden, aber etliche mit frohen Gesichtern.
Eine Weile danach fragte Kladivo, offenbar noch immer unter
dem Eindruck des Geschauten, unsicher, wie er eine solche
Frage formulieren sollte: „Wie ist es – vorn? Wohl haarig, was?
Hattest du – direkten Kontakt mit ihnen?“
Der junge Offizier wurde hellhörig, er richtete sich auf, starrte
mich an.
Ich nickte. „Ich habe mehrere Angriffe erlebt – vorn.“
„Aha!“ Kladivos Lieblingsausruf blieb im Raum, Hochachtung
und Aufforderung weiter zu berichten in einem.
Ich dachte zunächst nicht daran, von mir aus meine Erlebnisse
zum Besten zu geben. Aber schließlich ließ es sich nach
wiederholten gezielten Fragen der beiden nicht ganz und gar
vermeiden, und ich berichtete einiges – sorgfältig dosiert. Von
Einzelheiten ließ ich vieles aus. Doch sie fragten nach den
Verlusten, und lügen wollte ich nicht, schließlich würden sie bald
selbst sehen…
Was ich ursprünglich mit meiner Zurückhaltung vermeiden
wollte, trat ein: Der junge Mann wurde noch blasser, verkroch
sich vollends in seine Wagenecke, und Kladivo blickte, als wir
schwiegen, verbissen geradeaus.
Die Fahrt verlief durch typisch lappische Landschaft. Rechts
der Straße schimmerte eine endlos scheinende Seenkette durch
den lichten Wald, verbunden durch Fließe, unterbrochen durch
kleine Lichtungen und Buschwerk, manchmal deutete
Vegetationswechsel auf Moore hin. Ortschaften wurden immer
spärlicher.
Einmal bat ich, an einem Rastplatz, auf dem eine Unmenge von
Menschen pausierte, anzuhalten. Kladivo stimmte zu, sprach
sich mit der Besatzung des Folgefahrzeugs ab, ließ die Kolonne
weiterzuckeln, wendete und bog auf den Parkplatz ein.
Aber so viele ich auch fragte, niemand, weder Soldaten noch
zivile Personen, kam aus einem Gebiet nördlich von Ivalo. Doch
die Gerüchte, Inari sei in der Hand der Angreifer, verdichteten
sich.
Als sich die Dämmerung ankündigte, befand sich die Kolonne
in einem öden Landstrich noch über hundert Kilometer südlich
von Ivalo. Links und rechts säumten flache Moore mit einzelnen
Strauchgruppen die Straße.
Die Kolonne zuckelte im Fünfzigkilometertempo. Ich döste.
Meine Gedanken kreisten um das, was mich erwarten mochte.
Wie würde ich die Einheit, die Kameraden, Dagmar vorfinden?
Wenn ich ab und an munter wurde, bemerkte ich jedes Mal,
zunächst belustigt, später mit einiger Sorge, die angespannten
Blicke der Mitfahrer. Die beiden Offiziere schienen unsicher, ich
vermeinte förmlich, das innere Spannungsbeben in ihren
Körpern mit zu verspüren. Nun, ich kannte das aus eigenem
Erleben. Allerdings hätte ich dem bärtigen Kladivo mehr
Gelassenheit zugetraut.
Der Strom der entgegenkommenden Fahrzeuge hatte
nachgelassen. Ich vergewisserte mich auf der Karte, dass nördlich
vom augenblicklichen Standort der Kolonne kaum
noch
nennenswerte Straßen und Wege in die Trasse vier einmündeten,
dass also alles, was gegen Süden fuhr, aus dem Raum Ivalo
kommen musste.
Als wir abermals zu einem Rastplatz

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