Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Falsche Brüder

Falsche Brüder

Titel: Falsche Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
Vom Netzwerk:

da sein.“
Mehr hörte ich nicht. Über die Hügel brach ein Höllenfauchen,
dem unmittelbar berstende Detonationen folgten. Nemo riss
mich zurück, keinen Augenblick zu früh. Das Tor sprang auf
und spie Staub und Trümmer und beißenden Qualm in den Stall.
Einige der Gefangenen schrien, aber das konnte man im Getöse
mehr ahnen als hören.
Der Angriff mochte etwa sieben Minuten gedauert haben.
Während dieser Zeit barst, heulte, krachte, blitzte es.
Putz
rieselte von den Wänden, es wurde düster durch Rauch und
Staub. Der Sprengstoffqualm kroch in die Bronchien, erzeugte
Hustenreiz, trieb Tränen in die Augen.
Mit dem Heulen der Triebwerke des letzten Flugzeuges erstarb
der Lärm urplötzlich. Einige Trümmer fielen noch, Staub rieselte.
Nemo und ich, die wir dem aufgeflogenen Tor, durch das
Wolken wallten, am nächsten lagen, rappelten uns auf.
Ich klopfte Schmutz aus der Kleidung, dann trat ich hinter
Nemo nach draußen. Nur langsam wurde die Atmosphäre
durchsichtig.
Unmittelbar vor mir schälte sich etwas aus dem Schleier, ein
zerfetzter Medizinball… Unsinn, wie sollte dieser hierher
kommen. Danach, als würde ein Filter langsam unwirksam,
wurden Farben sichtbar. Obenauf auf dem Gebilde lag eine
dicke Schicht gelben Flugsands, darunter aber wurde der Körper
grün. Und dann sah ich auch Gliedmaßen und Teile eines
Körpers hervorhängen. Ein Engelchen…
Obwohl ich eigentlich allen Grund gehabt hätte, Genugtuung
zu verspüren, – noch dazu, wo ich während der kurzen Dauer
dieses Krieges genügend menschliche Leichen ansehen musste,
verstümmelte, zermarterte –, stellte sich kein Hochgefühl ein,
eher Traurigkeit und eine Wut auf den Triumph der Unvernunft.
Ein leichter Wind zerstreute den Dunst. Es lagen noch mehr
Kugelfetzen herum. Warum, zum Teufel, haben sie uns in den
Stall gejagt und waren selbst nicht in Deckung gegangen? Und
von dem stolzen Gewächshaus, dem größten, das ich je gesehen
hatte, konnte man nur einige verbogene Streben erblicken,
Folienreste blakten. Die aufgeschüttete Erde hatte es
hinweggepustet. Welchem Zweck das Haus auch gedient haben
würde, es schien etwas Vernünftiges zu sein, das erste, was die
Fremdlinge hier vollbrachten. Und das lag nun dem Erdboden
gleich.
Verzweiflung wollte mich packen, und ich hätte heulen mögen.
Nemo, neben mir, erging es wohl ähnlich.
Zögernd drangen die anderen aus dem Stall, husteten. Wenn sie
miteinander sprachen, dann im Flüsterton, sie unterstrichen so
den Eindruck dieser völligen Zerstörung.
Das Gebäude, in dem ich am Abend vorher noch
verhältnismäßig gemütlich gehaust hatte, war getroffen worden.
Antenne und Kabel ergaben miteinander ein Pendel, das an der
schiefen Wand schabte.
Etliche Kugeln lagen herum, scheinbar unbeschädigt. Aber sie
lagen und schwebten nicht, sodass ich annehmen musste, die
drinnen habe es ebenfalls ereilt. Da kam mir ein Einfall. Ich
erklomm ein Trümmerstück und schrie: „Männer, wenn nicht
jetzt, dann vermutlich nie mehr. Wir hauen ab. Los, Richtung
Süd! Hinter dem Ivalojoki stehen die Unseren, knapp zwei
Tagesmärsche von hier. Haut ab, aber vergesst die Erdwürmer
nicht, nehmt sie mit!“ Doch meine letzten Worte gingen bereits
im entstehenden Tumult unter. Niemand dachte an die
Erdarbeiter, die bislang nicht einmal aus ihrem Stall gefunden
hatten. Und fast hätte ich deswegen meinen Einfall bereut.
„Lass sie“, sagte Nemo als ich Anstalten machte, den letzten
hinterherzusetzen, sie zurückzuhalten. „Wir brauchen ein Alibi,
um – hier zu bleiben.“
Einen Augenblick sah ich ihn entgeistert an. Dann begriff ich.
Einige Sekunden lang hatte ich die tief empfundene Absicht, das
auch auszuführen, was ich angestiftet hatte. Nur das Los der
Erdarbeiter hatte mich zögern lassen. Jetzt aber wusste ich, dass
ich hier bleiben würde…
Die Flucht gelang. Ich sah sie den Hügel hinanstürmen, schon
in breiter Front, und einen nach dem anderen darüber
hinweghasten oder hinter Gebüsch tauchen.
Dann rief ich Sven.
Er hatte die Entwicklung bereits verfolgt. „Ich versuche einen
Stoßtrupp mit Transportern anzufordern, der sie aufnimmt. Was
wird aus euch?“
„Ich habe einen Auftrag.“ Das sagte ich ohne Pathos, eher
ergeben, sodass Nemo mich einen Augenblick erstaunt ansah.
„Ich bleibe ebenfalls…“, fügte Sven hinzu. „Ich gebe jetzt
meinen Spruch durch. Melde dich, sobald du kannst.“
Wir standen und starrten in die Richtung, in der soeben die
letzten der

Weitere Kostenlose Bücher