Falsche Väter - Kriminalroman
der
Leine ausführen.
Als sie die Stelle erreicht hatten, die Peters ihnen gezeigt hatte,
ließen sie sich rückwärts ins Wasser fallen und tauchten ab. Wenig später
erschienen ihre Köpfe wieder an der Oberfläche, und sie winkten das Boot heran.
Der Außenbordmotor wurde installiert, obwohl man das kleine Stück genauso gut
hätte rudern können. Der Motor sprang sofort an, und das Boot glitt zur
Fundstelle. Die Taucher hatten sichtlich Mühe, den massigen Körper des Toten
ins Boot zu hieven. Als sie es endlich geschafft hatten, bargen sie den mit
Steinen gefüllten Sitzbezug und suchten die nähere Umgebung des Leichenfundorts
ab. Wie Kinder beim Ostereiersuchen tauchten sie immer wieder mit stolz
hochgereckten Armen auf, wenn sie fündig geworden waren. Allerdings hatten die
meisten Fundstücke nichts mit der Leiche zu tun. Es handelte sich um Schrauben
und weggeworfene Flaschen. Auch ein verrosteter Fahrradlenker und eine alte
Angel wurden gefunden. Alles wurde auf dem Förderband abgelegt, damit es später
gründlich untersucht werden konnte.
Der Bootsführer hatte ein ernstes Gesicht, als er mit seiner Fracht
das Ufer erreichte. Über ihm kreisten inzwischen drei Motordrachen. Johannes
Winkens wurde auf einer Plane abgelegt. Peters trat neben ihn, um die Leiche
näher in Augenschein zu nehmen. Winkens sah auf den ersten Blick ganz normal
aus. Er trug einen hellen Trenchcoat und darunter einen Anzug. Nur sein Mund
wirkte, als habe er sich die Lippen zerbissen. Das nasse Haar hing ihm strähnig
in die Stirn. Peters trat ein Stück zurück, um nicht mit dem Wasser in
Berührung zu kommen, das aus der Kleidung des Toten sickerte.
Inzwischen waren auch die Leute von der Spurensicherung
eingetroffen. Weitere Autos fuhren auf das Gelände der Kiesbaggerei. Frau
Norden hatte offensichtlich ihren freien Tag, denn ein junger Amtsarzt kam zu Peters
und kümmerte sich um die Leiche.
»Irgendwas Besonderes?«, fragte Peters den Mann.
»Tote sind immer etwas Besonderes.« Der Mann knotete den
Borussia-Schal auf und wies auf einige rötliche Stellen. »Leichte Würgemale«,
sagte er. Dann umfasste er die Nase des Toten mit zwei Fingern und umklammerte
mit der anderen Hand das Kinn. Er hatte sichtlich Mühe, den Mund des Toten ein
wenig zu öffnen.
»Blutspuren«, stellte er trocken fest.
»Wovon?«
»Die Zunge«, sagte der Mann. »Sie wurde entfernt.«
»Die Zunge?«, fragte Peters erschrocken.
»Ja. Vielleicht liegt sie ja hier irgendwo herum. Der Mörder hat sie
dem Mann wohl kaum im Wasser abgeschnitten.«
Peters starrte auf den Boden, konnte aber nirgendwo eine Zunge
sehen. Er meinte plötzlich, etwas Weiches unter seiner rechten Schuhsohle zu
spüren, und machte schnell einen Schritt zur Seite. Doch da war nichts.
Winkens’ Zunge musste woanders liegen, der Täter hatte sie mitgenommen, oder
sie war von Fischen aufgefressen worden.
Peters ging zu Mareike hinüber. Sie stand bei den Leuten von der
Spurensicherung, die sich um das Auto kümmerten.
»Kein Selbstmord«, sagte er leise.
»Hab ich mir gedacht!«
»Der Mörder hat ihm die Zunge abgeschnitten.«
»Dann ist es derselbe Täter!«
»Ja«, sagte Peters. »Jedenfalls kann man davon ausgehen. Gehlen muss
überprüft werden. Außerdem will ich wissen, wo Johannes Winkens zum letzten Mal
öffentlich gesprochen hat. Was hat er da gesagt? Welche Positionen hat er
vertreten? Und was war da auf diesem Kongress in Wiesbaden, als er die Rede
gehalten hat? Wir müssen dem nachgehen!«
»Meinst du, es ging die ganze Zeit um Winkens?«, fragte Mareike.
»Möglich wäre es. Wir haben zu eng gedacht und nur eine Spur
verfolgt. Vielleicht sollten die anderen Morde nur von Winkens ablenken.«
* * *
Van de Loo wartete anderthalb Stunden vergeblich darauf, dass die
Schönheit der Umgebung von ihm Besitz ergriff. Insgesamt ging er viermal zum
Klo und betrachtete sein Gesicht in einem Kristallspiegel mit Goldrahmen. Der
Spiegel war schön und gut, aber er half nicht. Van de Loo sah von Mal zu Mal
blasser aus. Er betätigte die Spülung und sah staunend zu, wie die Brille, auf
der er gar nicht gesessen hatte, zu rotieren begann und automatisch gereinigt
wurde. Als er nach dem letzten Klobesuch ins Wohnzimmer zurückkehrte, hörte er
Wolfgang Amadeus. Es war nur ein sehr kurzes Stück, aber unverkennbar von
Mozart.
»Wer kann das denn sein?«, fragte Frau Winkens. »Johannes hat doch
einen Schlüssel.«
Sie ging zur Tür und öffnete. Van de Loo lauschte
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