Falsches Spiel: Roman (German Edition)
Kenntnisse nicht vielleicht überschätzt habe, zumal ich mich mit Fußball überhaupt erst ernsthaft beschäftige, seit ich im Magazin arbeite. Als ich selbst noch aktiv war und dann auch noch später im Knast, war Fußball einfach etwas, das sich sonntags abspielte und im Boxstudio oder innerhalb der Gefängnismauern diskutiert wurde.
Ich gehe zu Liborio und Andrea. Vermutlich fragen sie sich ebenfalls, warum das Raubein nicht draußen ist und der Mister nicht auf der Bank sitzt. Sie sind aber nicht wichtig genug, um sich nach den Gründen erkundigen zu dürfen, und so müssen sie sich einen eigenen Reim darauf machen. Als ich sie anspreche, fällt es ihnen schwer, den Blick von dem Kampf vor ihren Augen zu lösen.
»Liborio, ihr bleibt bitte hier. Ich fühle mich nicht gut, aber ich bin sofort wieder da.«
Ich glaube, sie haben nicht einmal mitbekommen, was ich gesagt habe, denn mein Assistent nickt und konzentriert sich dann sofort wieder aufs Geschehen, als wohnte er der wunderbaren Brotvermehrung bei.
Auf dem Weg in die Kabine muss ich an der Tribüne vorbei. Ich schaue zu der Loge hoch, wo Martinazzoli sitzt. Er wird flankiert von Ganzerli und Fiorelli. Seine beiden Begleiter, die Schöne und der Eunuch, sitzen hinter ihm. Der Rest der Bagage ist der übliche Hofstaat mit Gefolge. Zu meiner Überraschung ist der Platz neben dem Geschäftsführer leer. Seltsam, wenn man bedenkt, wie wild die Leute auf dieses Spiel waren. Gelegentlich passiert es, dass jemand eine Dauerkarte kauft und dann nie erscheint, einfach aus Snobismus oder weil er den Verein unterstützen will. Heute scheint mir aber kein Tag für unentschuldigte Abwesenheiten zu sein. Heute gibt es sicher Leute, die für diesen leeren Platz im Geppe Rossi ihre Frau verpfändet hätten.
Martinazzoli spricht am Handy, und selbst von hier wirkt seine Miene düster. Während des Telefonats dreht er ständig den Kopf in Richtung der Fan-Kurve der Ultras, und plötzlich hebt er den Arm und scheint auf die Fensterscheibe des zukünftigen Presseraums zu zeigen.
Doch alles der Reihe nach.
Ich erreiche den Spielertunnel und hole schnell das Handy des Mister aus der Tasche. An einem ruhigen Ort suche ich Gentiles Nummer und tippe so schnell wie möglich eine SMS .
Re und Pizzoli sollen die Position tauschen. Mehr Bewegung, auch ohne Ballbesitz.
Ich drücke die Senden-Taste, habe aber kein gutes Gefühl dabei. Das Problem ist, dass man jede Schwierigkeit und jede Fehlleistung eines Spielers ganz unterschiedlich interpretieren kann.
Schlechter Tag oder schlechte Absicht?
Dieses Vorantasten, ohne zu wissen, wem ich trauen kann, macht mich wahnsinnig. Sich die Wahrheit auszumalen, ist manchmal schlimmer, als eine schlimme Wahrheit zu kennen.
Gewissheit kann Schmerz bedeuten.
Ungewissheit ist schlicht eine Qual.
Ich gehe in den Besucherraum, der erwartungsgemäß leer ist. Auf dem billigen Teppichboden stehen Sofas, Sessel und ein Tischchen mit einem laufenden Fernseher. Vor dem Spiel und in der Pause halten sich Besucher und Mitarbeiter hier auf und können sich an einem kleinen Buffet mit Schnittchen, Getränken und Espresso versorgen. Wer in der scheußlichen Jahreszeit das Spiel nicht draußen in der Kälte anschauen möchte, kann es von hier aus verfolgen. Es wird über eine Niedrigfrequenz auf den Monitor übertragen, und im Radio, das auf Manila Sound eingestellt ist, kann man die Liveübertragung hören. Bei dem schönen Wetter heute haben es aber alle vorgezogen, die Partie an der frischen Luft und bei Sonnenschein anzuschauen.
Ich setze mich auf ein Sofa. Eine Weile schaue ich zu, wie die bunten Figuren über den Bildschirm laufen und dem Ball nachjagen. Von außen betrachtet, sieht es so einfach aus. Man muss aber nur ein bisschen genauer hinschauen, und schon verkompliziert sich die Geschichte, und alles wird chaotisch, undurchsichtig und rätselhaft.
Aus dem Radio dringt die gemessene, souveräne Stimme eines Kommentators, der allerdings nicht verbergen kann, dass er mit unserer Mannschaft sympathisiert.
» … vorerst bleibt festzuhalten, dass die beiden Mannschaften sowohl hinsichtlich des Ballbesitzes als auch der Torchancen gleichauf liegen. Würde man im Fußball nach Punkten werten, hätte der Schiedsrichter ein ernsthaftes Problem. Weiterhin unerklärlich ist – und bislang wurde nicht die geringste Erklärung dazu abgegeben –, warum Di Risio nicht auf der Bank sitzt und warum vor allem Roberto Masoero nicht mit der Startelf
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