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Falsetto

Falsetto

Titel: Falsetto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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schwarze Tunika war ihm bereits zu kurz. Er vermied es, sein Bild im Spiegel zu betrachten.
    »Aber ich habe für heute nacht ganz besondere Vorbereitungen getroffen«, sagte Domenico. »Weißt du das denn nicht mehr? Ich habe dir doch davon erzählt.«
    In Domenicos Stimme schwang ein ängstlicher Unterton mit.
    Tonio drehte sich um, um ihn im Lichte der einzelnen Kerze besser sehen zu können. Er war prächtig herausgeputzt. An seiner schlanken Gestalt wirkte seine Kleidung ebenso anmutig wie bei den Figurinen auf französischen Stichen. Zum ersten Mal bemerkte Tonio, daß er sich mit Domenico auf gleicher Höhe befand, obwohl dieser zwei Jahre älter war als er. Wenn er ihn jetzt nicht los wurde, würde er den Verstand verlieren.
    »Ich bin müde, Domenico«, flüsterte er und ärgerte sich dabei über sich selbst, weil er so grob war. »Du mußt mich jetzt allein lassen...«
    »Aber Tonio!« Domenico war offensichtlich überrascht. »Ich habe alles vorbereitet. Ich habe es dir doch gesagt. Ich reise morgen früh ab. Du kannst das doch nicht vergessen haben...« Seine Stimme verlor sich.
    Tonio hatte ihn noch nie so aufgeregt gesehen. Es verlieh seinem Gesicht eine prickelnde Würze und erregte in Tonio eine gewisse oberflächliche Leidenschaft.
    Plötzlich dämmerte ihm jedoch, was Domenico ihm zu sagen versuchte. Natürlich, dies hier war seine letzte Nacht, weil er unverzüglich nach Rom gehen würde! Alle hatten sie darüber gesprochen, daß er das Conservatorio verlassen würde, und jetzt war der Augenblick gekommen. Maestro Cavalla wollte, daß er schon frühzeitig in Rom war, um mit Loretti, der die Oper komponiert hatte, proben zu können.
    Der Augenblick war gekommen, und Tonio hatte keinerlei Notiz davon genommen.
    Er begann sich unverzüglich anzukleiden, während er sich vergeblich ins Gedächtnis zurückzurufen versuchte, was Domenico zu ihm gesagt hatte.
    »Ich habe im Albergo Inghilterra für uns ein Zimmer mit Abendessen bestellt«, erklärte Domenico. Dies war das luxuriöse Gasthaus am Meer, in dem Tonio sich nach seiner Nacht auf dem Berg ausgeruht hatte. Er hielt einen Moment inne, als er den Namen hörte, dann zog er seine Schuhe an und nahm seinen Degen vom Haken.
    »Tut mir leid. Ich weiß nicht, wo ich meinen Kopf habe«, murmelte er.

    Er schämte sich noch mehr, als er die Räume betrat, die Domenico gemietet hatte. Es waren nicht jene, in denen Tonio damals gewohnt hatte, aber sie boten freien Ausblick aufs Meer. Durch die frisch geputzten Fenster war der Strand zu sehen, der im Mondlicht in vollkommenem Weiß schimmerte.

    Das Bett stand in einem separaten kleinen Zimmer, das bereits von mehreren Kandelabern erhellt wurde. Der Eßtisch befand sich im Hauptzimmer und war mit Leinen und Silber gedeckt.
    Alles war sehr hübsch, aber Tonio konnte sich nicht auf ein Wort von dem, was Domenico gerade zu ihm sagte, konzentrieren.
    Domenico sprach über die Rivalität zwischen Loretti und seinem Lehrer Maestro Cavalla, und darüber, was für ein schwieriges Publikum die Römer waren. Er erklärte, weshalb er nach Rom gehen mußte und warum er nicht in Neapel debütieren konnte. Schließlich brauchte man nur zu sehen, was die Rö-
    mer mit Pergolesi gemacht hatten.
    Ich hätte ihm irgendein Geschenk kaufen sollen, dachte Tonio.
    Es war ein schreckliches Versäumnis, daß er das nicht getan hatte. Was zum Teufel sollte er sagen?
    »Komm mit!« sagte Domenico wieder.
    »Was?« stotterte Tonio.
    Domenico legte empört sein Messer weg. Er biß sich auf die Unterlippe und sah dabei aus wie ein zorniges und verwirrtes Kind. Dann sah er Tonio an, als könne er nicht glauben, was sich hier abspielte.
    »Komm mit nach Rom«, wiederholte er. »Du mußt mitkommen! Tonio, es ist nicht so, als wärst du Schüler irgendeiner Wohltätigkeitseinrichtung. Wenn du Maestro Maffeo sagst, daß du gehen willst, dann wird er dich gehen lassen...«
    »Domenico, ich kann nicht mit nach Rom gehen! Warum sollte ich nach Rom gehen -« Aber bevor die Worte ganz heraus waren, kamen ihm kleine Stücke und Fetzen der Unterhaltung wieder zu Bewußtsein.
    Domenico machte ein so betroffenes Gesicht, daß Tonio es nicht ertragen konnte, ihn anzusehen.
    »Du bist nur ängstlich, dabei hast du gar keinen Grund dazu«, sagt Tonio. »Du wirst eine Sensation sein!«
    »Ich bin nicht ängstlich«, flüsterte Domenico. Er hatte sich abgewandt und sah jetzt in die Dunkelheit. »Tonio, ich dachte, du würdest gerne mitkommen...«
    »Ich

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