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Falsetto

Falsetto

Titel: Falsetto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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unter Geistern leben mußte, während dieser Abtrünnige sich in Konstantinopel aufhielt.
    »Was ist mir dir los?« flüsterte Lena. »Warum siehst du mich so an?«
    »Geh jetzt, ich möchte mit meiner Mutter allein sein.«
    »Gut, bring sie zur Vernunft, bring sie dazu, aufzustehen«, drängte sie. »Tonio, wenn du das nicht tust, dann weiß ich nicht, wie lange ich deinen Vater noch von hier fernhalten kann. Heute morgen stand er wieder vor der Tür. Er ist meine Ausreden leid. Aber ach, in diesem Zustand darf er sie einfach nicht sehen!«
    »Und warum nicht?« sagte Tonio plötzlich wütend.
    »Du weißt ja nicht, was du da sagst, du armes Kind«, sagte sie und schloß, als er ins Schlafzimmer trat, die Flügeltür hinter ihm.

    Marianna saß am Cembalo. Auf den Ellbogen gestützt, das Glas Wein und die Flasche neben sich, klimperte sie mit einer Hand vor sich hin.
    Das Licht des Nachmittags wurde von den Vorhängen ausgesperrt. Sie hatte drei Kerzen angezündet, die einen dreifachen Schatten von ihr auf den Boden und auf die Tasten warfen, drei durchscheinende Schichten aus Schatten, die sich im Takt mit ihr bewegten.
    »Liebst du mich?« fragte sie.
    »Ja«, sagte er.
    »Warum bist du dann ausgegangen. Warum hast du mich allein gelassen?«
    »Ich werde dich mitnehmen. Von jetzt an werden wir jeden Nachmittag Spazierengehen.«
    »Spazierengehen? Wo denn?« murmelte sie. Sie fing wieder zu klimpern an. »Du hättest mir sagen sollen, daß du aus-gehst.«
    »Du warst ja gar nicht ansprechbar...«
    »Hör auf, so häßliche Dinge zu mir zu sagen!« schrie sie.
    Er setzte sich auf die gepolsterte Bank zu ihr. Ihr Körper fühlte sich ganz kalt an. Um sie herum war ein schaler Geruch wahrzunehmen, der so unnötig war und in solchem Widerspruch zu ihrer wächsernen Schönheit stand. Ihr Haar war gebürstet. Es erschien Tonio wie eine große schwarze Katze, die sich an sie klammerte.
    »Du kennst doch diese eine Arie«, murmelte sie, »die aus Gri-selda, singst du sie mir bitte vor?«
    Er kannte das Lied auswendig und begann zu singen, aber nur halblaut, so als wäre sein Gesang allein für ihre Ohren bestimmt. Er spürte, wie sie schwer gegen ihn sackte. Sie gab ein leises Stöhnen von sich, so wie sie es oft im Schlaf tat.
    »Mamma«, sagte er plötzlich. »Mamma, bitte hör dir eine kleine Geschichte an und sag mir dann, was du darüber sonst noch weißt.«
    »Wenn Feen, Geister und Hexen darin vorkommen«, sagte sie, »dann gefällt sie mir vielleicht.«
    »Möglicherweise kommen welche darin vor, Mamma«, sagte er.
    Sie hatte den Blick immer noch abgewandt, als er ihr von Marcello Lisani und dem, was er gesagt hatte, zu erzählen begann und ihr von seiner Suche nach dem Bild berichtete.
    Er beschrieb ihr das Portrait im Speisezimmer und das geisterhafte Pentimento.
    Während er redete, drehte sie ihm ganz langsam das Gesicht zu. Zuerst bemerkte er nichts Besonderes an ihr, nur daß sie ihm jetzt tatsächlich zuhörte.
    Dann aber begann sich ihr Gesichtsausdruck allmählich zu verändern. Es kam ihm so vor, als würde die schwere Hülle aus Mattigkeit und verebbender Trunkenheit von ihr abfallen.
    Ihre Aufmerksamkeit beim Zuhören, ihre gespannte Faszination verliehen ihrem Gesicht beinahe etwas Verzerrtes.

    Und langsam bekam er Angst.
    Er hörte auf zu reden. Während er sie anstarrte, als könne er seinen Augen nicht trauen, merkte er, daß sie sich in einen anderen Menschen verwandelte.
    Die Verwandlung war subtil, sie war langsam vonstatten gegangen, aber sie war vollkommen. Eine Weile bracht er kein Wort mehr heraus.
    Er sah sie vor sich: ihr Spitzennachthemd, ihre bloßen Füße und ihr eckiges Gesicht mit den schrägen byzantinischen Augen, ihren Mund, klein und blaß, der bebte wie ihr ganzer Körper auch.
    »Mamma?« flüsterte er.
    Ihre Hand brannte auf seinem Handgelenk, als sie ihn berühr-te.
    »In diesem Haus gibt es Bilder von ihm?« fragte sie. Auf ihrem Gesicht lag eine Leere, die sie jung, absolut selbstvergessen und merkwürdig unschuldig aussehen ließ. »Wo sind sie?«
    Als er sich erhob, stand sie ebenfalls auf. Sie zog sich ihren gelben Morgenmantel aus Seide über, wartete, bis er eine Kerze aus dem Halter genommen hatte, und folgte ihm dann.
    Auf dem halben Weg zum Speisezimmer fiel ihm auf, daß sie immer noch barfuß war. Sie schien es gar nicht zu bemerken.
    »Wo?« fragte sie. Er öffnete die Flügeltür und deutete auf das große Familienporträt.
    Sie starrte es an und warf ihm dann

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