Familien Saga Bd. 3 - Zauber der Savanne
wurde längst im Hotel von ihrem Vater und Sonja erwartet. Raffael sollte bald ankommen, aber das war ihr im Moment einerlei. Die Art, wie ihr Vater sie in aller Öffentlichkeit und noch dazu vor ihrem Gesangslehrer zurechtgewiesen hatte, hatte sie zutiefst empört. Sollte er ruhig eine Weile auf sie warten müssen! » Ich werde mir das nicht bieten lassen! Wenn meine Eltern meinen Berufswunsch nicht akzeptieren können, dann werde ich mich eben darüber hinwegsetzen. Schließlich ist es mein Leben. Nächstes Jahr werde ich einundzwanzig. Dann kann mir niemand mehr etwas verbieten. Wenn es sein muss, gehe ich so lange weiterhin in diese öde Präparandenanstalt, aber danach hält mich hier nichts mehr. Ich lasse mir keine Zügel anlegen! Ich bin sicher, mein Großvater wird mir das Geld geben, um nach Europa zu gehen. So lange werde ich eben weiterhin bei Ihnen Musikunterricht nehmen.«
Reuter räusperte sich. Sein Gesicht überzog plötzlich eine tiefe Röte, und er klopfte nervös mit seinen feinen Fingern auf dem Flügel herum. Normalerweise amüsierte Ricky das schüchterne Verhalten des Dirigenten und Gesangslehrers im privaten Umgang mit ihr. Es stand im krassen Gegensatz zu seiner Haltung auf der Bühne. Wenn er ein Orchester dirigierte oder sie unterrichtete, war er streng, dynamisch und sehr bestimmend. Manchmal fürchtete sie sich direkt vor seinem harschen Urteil. Heute jedoch war sie zu echauffiert, um seine Verlegenheit zu bemerken. Sie hatte immer befürchtet, dass ihr Doppelleben eines Tages auffliegen könnte, aber dass es ausgerechnet am Abend ihres ersten Auftritts in der Öffentlichkeit geschehen war, war schon bitter. Nach dem Abschluss der Schule hatte sie unbedingt in Windhuk bleiben wollen. Ihre Eltern wollten das nur erlauben, wenn sie etwas Sinnvolles dort unternehmen würde. Da für Ricky weder eine Handelslehre noch eine handwerkliche oder hauswirtschaftliche Ausbildung in Frage kam, entschloss sie sich, auf die private Präparandenanstalt zu gehen, um dort als Lehrerin ausgebildet zu werden. Ihre Eltern waren damit zufrieden, auch wenn ihre Mutter es lieber gesehen hätte, wenn Ricky einen » richtigen« Beruf erlernt hätte. Tatsächlich hatte sie schon bald gemerkt, dass ihr der Lehrerberuf nicht lag. Nicht dass sie nicht gerne Umgang mit Kindern gehabt hätte, aber allein die Vorstellung, in einem abgelegenen Ort in der Wildnis unmusikalische Kinder zu unterrichten, fand sie unerträglich. Mit ihren Eltern wagte sie nicht darüber zu reden, denn womöglich hätten sie sie umgehend zurück nach Owitambe beordert. Und das wollte sie auf keinen Fall, weil sie dann auf ihren geliebten Gesangs- und Klavierunterricht hätte verzichten müssen. Das war ihr einziger Lichtblick, vor allem, seit sich vor einiger Zeit der junge Musiker und Dirigent Valentin Reuter in Windhuk niedergelassen hatte und neben seinem Engagement als Musikdirektor auch privaten Gesangs- und Klavierunterricht anbot. Sein Unterricht war etwas teurer als der bei ihrer vorigen Lehrerin, einer bigotten Sopranistin, aber Ricky hatte sich kurzerhand ein günstigeres Zimmer gemietet und sich den Unterricht von dem Geld, das sie monatlich von ihren Eltern erhielt, abgespart. Valentin Reuter hatte sie gefördert und ihr Talent entdeckt und ihr ganz nebenbei geholfen, ihr Selbstbewusstsein zu stärken. Dafür war sie ihm unendlich dankbar.
» Ähm, Fräulein van Houten, ich fürchte, bezüglich Ihres weiteren Gesangsunterrichts hier in Windhuk muss ich Sie enttäuschen. Wie ich Ihnen ja bereits gestern Abend angedeutet habe, werde ich bald nach Berlin gehen. Ich habe den Vertrag bereits unterschrieben.«
» Ich hielt es für einen Scherz«, meinte Ricky ungläubig. » Das dürfen Sie nicht!« Sie war außer sich. Valentin Reuter gehörte zu ihrem Leben hier in Windhuk. Es gab keinen anderen Lehrer, von dem sie mehr lernen konnte. Dass er beabsichtigte, so einfach von hier wegzugehen, empfand sie schon fast als Verrat.
» Fräulein van Houten, Riccarda, bitte regen Sie sich nicht auf. Ich habe mir die Entscheidung nicht leichtgemacht, glauben Sie mir. Aber dieses Engagement als Orchesterleiter ist eine einmalige Chance. Ich muss sie nutzen.«
» Ich verstehe«, seufzte Ricky geknickt. Sie erkannte, dass ihre Gedanken absolut egoistisch waren. Entmutigt setzte sie sich neben ihn auf den Klavierhocker. Hätte man ihr ein solches Angebot unterbreitet, hätte sie bestimmt auch nicht gezögert, Afrika zu verlassen. Sie fühlte sich
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