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Familienpoker: Vijay Kumars vierter Fall (German Edition)

Familienpoker: Vijay Kumars vierter Fall (German Edition)

Titel: Familienpoker: Vijay Kumars vierter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sunil Mann
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besonders gastfreundlich wirkte sie jedenfalls nicht. Allerdings hätte mich brennend interessiert, welche Art von Unwahrheiten sie eben angetönt hatte.
    »Sie können stolz auf Ihren Onkel sein. Ich habe in meinem ganzen Leben keinen selbstloseren Menschen kennengelernt«, bemerkte Schwester Maria, während sie uns einen verlassen wirkenden Gang entlang zu einem winzigen Büro führte, und für einen kurzen Moment leuchtete so etwas wie Begeisterung in ihren Augen auf. »Zusammen mit seinem Partner Doktor Grüninger hat er Großartiges geleistet.«
    Sie hieß uns an einem altmodischen Schreibtisch Platz nehmen und öffnete die Türen eines mit Schnitzereien verzierten Schranks aus dunklem Holz. Dabei wurde die kleine Ablage in der Mitte des Möbels sichtbar. Von zwei silbernen Kandelabern flankiert stand dort ein mit einem Rosenkranz behängtes Kreuz auf einem gehäkelten Deckchen, daneben eine Statue der Heiligen Jungfrau. Schwester Maria hatte sich in ihrem Büro einen kleinen Schrein eingerichtet.
    »Mein Ort des Friedens«, erklärte sie wie zu ihrer Verteidigung, als sie meinen neugierigen Blick bemerkte, neigte den Kopf und schlug ein Kreuz. »Hierhin ziehe ich mich zum Gebet zurück.«
    Einer Schublade entnahm sie eine abgegriffene Bibel, setzte sich uns gegenüber und klappte den roten Ledereinband auf, dabei rutschten ein paar lose Fotos heraus, die sie zuhinterst hineingelegt hatte.
    »Hier«, sagte sie lapidar und legte die vergilbten Aufnahmen vor José hin. Sie zeigten alle einen schnittigen Mann von knapp sechzig Jahren, der einen Schnurrbart trug und einen sehr selbstsicheren Eindruck machte. Auf einem der Bilder lehnte sich die Oberschwester mit Sánchez an ein Geländer, in der Tiefe waren die Dächer einer Stadt zu erkennen. Die Aufnahme wirkte wie ein Urlaubsfoto.
    »Ein Ausflug nach Turin«, erläuterte die Oberschwester errötend, als ich mich neugierig darüber beugte.
    »Nur Sie und er?«
    »Doktor Grüninger war natürlich auch dabei«, verteidigte sie sich pikiert. »Doch seine Höhenphobie hinderte ihn daran, mit auf den Turm hochzufahren. Keine zehn Pferde hätten ihn auf den Mole Antoniellana gebracht.« Sie griff nach dem Bild und schob es bestimmt in die Bibel zurück.
    »War Sánchez ein guter Arzt?«, wollte José wissen.
    »Ein großartiger! Auch menschlich war er ein Vorbild für viele. Leider ist der Kontakt abgebrochen. Er hat uns schon vor etlichen Jahren verlassen, um sich einer neuen Aufgabe zu widmen.« In das Bedauern in ihrer Stimme mischte sich eine deutlich hörbare Bitterkeit. »Eine Lücke, die nie mehr ganz geschlossen werden konnte, wenn Sie mich fragen.«
    »Eine neue Aufgabe?«
    »Er hat mit seinem Geschäftspartner eine Privatklinik eröffnet.«
    »Hier in Madrid?«
    »Ja, am Paseo de la Habana 143.«
    »Sie haben ja doch eine Adresse von ihm.«
    »Doktor Sánchez ist beinahe achtzig, ich nehme nicht an, dass er noch immer praktiziert. Aber vielleicht finden Sie in der Klinik die gesuchten Informationen.«
    »Wir werden uns auf jeden Fall nach ihm erkundigen. Aus welchem Grund sind Sie ihm nicht gefolgt?«, fragte José nach. Sein journalistischer Instinkt kam mir manchmal vor wie ein scharfer Jagdhund, der höchstens döste und nie richtig schlief. Jetzt gerade wedelte dieser Köter wachsam mit dem Schwanz und stellte die Ohren auf. »Da Sie doch so eng zusammengearbeitet haben?«
    Die Oberschwester strich mit den Fingern über die Bibel und ihr Blick verlor sich im Muster des abgetretenen Orientteppichs auf dem Boden.
    »Doktor Sánchez hatte Großes vor«, antwortete sie endlich mit fester Stimme. »Er war ein begnadeter Kopf, ein Visionär mit zukunftsweisenden Ideen. Aber mein Platz war und ist in diesem Spital, hier habe ich meine Bestimmung gefunden.«
    Maria sammelte die Fotografien wieder ein und steckte sie in die Bibel zurück.
    Nachdem sie das Buch in der Schublade verstaut hatte, klappte sie beide Türen mit Nachdruck zu und schloss den Schrank ab. Das Gespräch war für sie beendet, daran ließ sie keinen Zweifel aufkommen.
    »Sie haben sich ja jetzt ein Bild von Ihrem Onkel machen können. Es tut mir leid, dass ich Ihnen nicht weiterhelfen kann.« Sie verschränkte die Finger vor ihrem Schoß und wartete unverhohlen darauf, dass wir uns erhoben. Doch ich starrte wie gebannt auf das Bild, das zwischen Möbel und Fenster an der Wand hing und bislang von der offenen Schranktür verdeckt worden war. Es zeigte zwei Männer in Arztkitteln. Sie waren

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