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Familienpoker: Vijay Kumars vierter Fall (German Edition)

Familienpoker: Vijay Kumars vierter Fall (German Edition)

Titel: Familienpoker: Vijay Kumars vierter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sunil Mann
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bereits etwas ergraut und von einer Schar Nonnen umringt. Ich erkannte die Fotografie sofort wieder, denn ich hatte sie vor wenigen Stunden schon einmal gesehen: an der Calle de la Bola, über dem Bett von Schwester Schildkröte.
    »Ist das ebenfalls Doktor Sánchez?« Ich deutete mit einer Kinnbewegung auf das Bild.
    Die Oberschwester fuhr herum und betrachtete die Fotografie einen Augenblick lang, als sähe sie sie zum ersten Mal, bevor sie stumm nickte.
    »Darf ich mir das Foto kurz ansehen?«
    Widerwillig hängte Maria den Rahmen von der Wand und reichte ihn herüber. Das Holz war ganz staubig, die Farben ausgeblichen, das Papier an den Rändern vergilbt.
    »Es hängt schon seit Ewigkeiten da. Wurde irgendwann Anfang der Neunziger gemacht, wenn ich mich richtig erinnere.«
    Doktor Sánchez wirkte auch hier dynamisch, der Kollege daneben war wesentlich jünger, ein farbloser, glatt rasierter Zeitgenosse, der sehr ehrgeizig und entsprechend steif wirkte. Viel mehr als die beiden Männer zog jedoch die etwas konsterniert in die Kamera blickende Nonnenschar meine Aufmerksamkeit auf sich.
    Unschwer erkannte ich Oberschwester Maria. Doch es war die Ordensschwester neben ihr, an der mein Blick hängen blieb: eine verhärmt wirkende Frau, deren Gesicht eine hässliche Warze über der Oberlippe verunstaltete. Mutter Oberin.
    Ebenfalls deutlich auszumachen war Schwester Schildkröte, sie stand in der hintersten Reihe und musste schon damals im Rentenalter gewesen sein. Ich beugte mich vor und betrachtete aufmerksam jedes Gesicht. Ganz am Rand der Gruppe fiel mir eine Nonne mit sanftmütigem Antlitz auf. Sie stand etwas abseits, als würde sie nicht wirklich dazugehören. Auch diese Frau hatte ich schon gesehen: vorhin, gegenüber des Ordens, als sie sich ganz kurz am Fenster gezeigt hatte.
    Vor ungefähr zwanzig Jahren hatten sie alle in diesem Spital gearbeitet, das Gebäude war im Hintergrund deutlich zu sehen. Ich hatte keine Ahnung, was das bedeuten mochte.
    »Welchem Orden gehören Sie eigentlich an?« Ich hob den Kopf und musterte Schwester Marias Habit.
    »Wir Krankenschwestern kamen fast alle aus demselben Frauenorden, dem Ordo de Conceptione Immaculata Beatae Mariae Virginis .«
    Sie deutete etwas ungeduldig auf die Fotografie. »Die Spitäler haben teilweise eng mit katholischen Institutionen zusammengearbeitet.«
    Nun hatte ich die Erklärung, weshalb ich Sánchez’ Nummer bei den Ordensschwestern hatte hängen sehen. Der Zettel mochte Gott weiß wie alt sein, aber ich war definitiv auf der richtigen Spur.
    »Was ist das für ein Orden?«
    »Wir sind Missionsschwestern, wir glauben an die Heilige Jungfrau Maria und finden uns im gemeinsamen Gebet. Der Orden wurde 1484 in Toledo gegründet, das ist nicht weit von Madrid, von wo aus er sich in ganz Spanien und später auch in Südamerika verbreitet hat. Allerdings leben wir nicht in Klöstern, sondern meist in Wohngemeinschaften, denn es geht uns darum, den Gläubigen nah zu sein. Doktor Sánchez hat uns damals großzügigerweise zwei gegenüberliegende Häuser in der Stadt gekauft, da waren wir alle gemeinsam untergebracht. Mittlerweile ist es zu einer Art Altersheim für Ordensschwestern verkommen, die meisten Wohnungen mussten leider anderweitig vermietet werden oder stehen leer. Der Orden selber wird gerade noch von der hochehrwürdigen Mutter und Schwester Ignacia geleitet.«
    Die Schildkröte hieß also Ignacia – die Entflammte. Das musste ich erst mal sacken lassen.
    »Es ist beinahe unmöglich geworden, neue Mitglieder zu finden«, fügte Schwester Maria säuerlich hinzu. »Heutzutage gibt es kaum noch junge Frauen, die ihr Leben der Jungfrau Maria weihen wollen.«
    Das war ihnen keineswegs zu verübeln, dachte ich, dennoch setzte ich eine verständnisvolle Miene auf.
    »Wer ist diese Frau?« Ich zog das Foto zu mir hin und tippte mit der Fingerspitze auf die Schwester mit dem gütigen Gesicht.
    »Schwester Alma, sie war unsere Hebamme.«
    »Eine Hebamme?« Es war, als hätte sie mir einen Stromstoß versetzt. Ich beschloss, alles auf eine Karte zu setzen: »Wissen Sie von Adoptionen, die im Orden oder im Spital stattgefunden haben?«
    »Natürlich, das ist doch kein Geheimnis«, bestätigte Maria in herablassendem Ton meine Nachfrage.
    Also hatten mich die Mutter Oberin und ihre Leibwächterin Ignacia schamlos angelogen. Den Ehrenplatz auf der Tribüne des Allmächtigen hatten sie damit wohl verspielt, dachte ich nicht ohne eine gewisse

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