Familienpoker: Vijay Kumars vierter Fall (German Edition)
Genugtuung.
»Es kam sogar häufig zu Adoptionen«, führte Maria weiter aus. »Immer wieder gab es Mütter, die ihre Kinder nicht wollten, weil sie unehelich waren, unerwünscht oder behindert. Alleinstehende Frauen oder solche, die bei der Geburt starben. Auch Prostituierte kamen zu uns, Minderjährige oder Vergewaltigungsopfer. Wir Ordensschwestern haben uns um geeignete Familien gekümmert, damit die Kinder schnellstmöglich ein ordentliches Zuhause kriegten. Aber weshalb fragen Sie?«
»Persönliches Interesse. Eine Freundin von mir wurde in Spanien adoptiert, sogar hier in diesem Spital, wenn ich mich richtig entsinne.«
»Das kann gut sein, wir haben etliche kinderlose Paare aus der Schweiz glücklich machen können.«
»Irene Winter hieß die Adoptivmutter, die Tochter Noemi …?«
Schwester Maria machte ein bedauerndes Gesicht. »Ich kann mich leider nicht an Einzelfälle erinnern, dazu waren es zu viele.«
»Frau Winter sagt, die Adoption wäre ziemlich teuer gewesen, auch sei manches nicht ganz legal abgelaufen, zum Beispiel wäre ihr eigener Name und nicht derjenige der leiblichen Mutter in die Geburtsurkunde eingetragen worden.«
Die Oberschwester fuhr mich erbost an: »Diese Undankbarkeit macht mich wütend! Genau wie die verleumderischen Dinge, die immer wieder in der Presse stehen! Nichts, keine Peseta hat das gekostet! Im Gegenteil: Doktor Sánchez war ein sehr großzügiger Mann und hat die Frauen oft kostenlos behandelt! Er hatte die Vision, dass jedes Kind von einer Familie aufgenommen und so vor einem Leben im Heim bewahrt werden sollte. Und was die Geburtsurkunde angeht: Ich kann Ihnen versichern, dass alles mit rechten Dingen zuging. Ich habe mich jahrelang selbst um die Abwicklung der Adoptionen gekümmert.«
»Aber …«
»Ich habe Ihnen alles gesagt, was es dazu zu sagen gibt.«
Irgendetwas stimmte hier nicht. Die Aussagen von Oberschwester Maria und diejenigen Irene Winters standen sich diametral gegenüber. Dabei war ich mir absolut sicher, dass es nicht die Winter war, die log. Sie hatte schlicht keinen Grund dazu, wohingegen die finanzielle Situation des Ordens und das verdächtige Verhalten seiner wenigen Mitglieder genügend Raum für Spekulationen bot.
Aber eigentlich war ich nicht hier, um herauszufinden, ob bei Noemis Adoption Geld geflossen war und wer sich möglicherweise unredlich daran bereichert hatte, sondern um ihre leiblichen Eltern aufzuspüren. Noemi war mutmaßlich in diesem Spital zur Welt gekommen, hier war auch ihre Mutter gestorben, bevor das Kind von den Nonnen an Frau Winter verkauft worden war. Das waren die für mich entscheidenden Informationen. Alles andere konnte mir egal sein.
Manchmal musste man als Detektiv Prioritäten setzen, den gewitterten Skandal links liegen lassen und sich auf den erteilten Auftrag konzentrieren. Selbst wenn man in der Bauchgegend ein ungutes Gefühl verspürte.
»Es muss doch Unterlagen geben«, übernahm José wieder die Gesprächsführung. »Wo vermerkt wurde, wer zu wem kam, wer die leiblichen Eltern waren und so weiter?«
Ich konnte förmlich sehen, wie jetzt der journalistische Spürhund in ihm an der Leine zerrte. Auch mein Herz pochte vor Aufregung, wir standen kurz vor dem Durchbruch.
Doch Schwester Maria winkte ab. »Wir hatten vor Jahren einen Archivbrand. Damals haben wir noch alles von Hand notiert. Ich war an jenem Abend im Dienst, innert Sekunden stand der gesamte Keller in Flammen. Wir konnten nichts retten.«
»Das ist doch unmöglich! Und es gab keine Kopien?«
»Nicht, dass ich wüsste.«
»Da wurden doch sicher Durchschläge gemacht«, beharrte José. »Das war damals so üblich.«
»Wahrscheinlich sind auch die verbrannt«, wand sich Maria.
»Wahrscheinlich?« Ich ließ nicht locker: »Sie haben eben gesagt, Sie hätten die gesamten Adoptionen organisiert und jetzt wissen Sie nicht einmal mehr genau, ob und welche Unterlagen den Brand überlebt haben?«
»Werfen Sie mir vor, meine Arbeit nicht richtig zu machen?«, fuhr sie mich in scharfem Ton an.
»Natürlich nicht«, beschwichtigte ich sie hastig. »Aber die Akten waren doch immens wichtig. Es erstaunt mich einfach, dass sie offenbar alle zerstört wurden. Gab es denn keine Inventarliste oder ein Register, so was in der Art?«
Sie schüttelte störrisch den Kopf. »Es herrschte ein unglaubliches Chaos nach diesem Zwischenfall, Sie können sich das gar nicht vorstellen. Wir haben versucht, so exakt wie möglich zu rekonstruieren, was alles
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