Familienpoker: Vijay Kumars vierter Fall (German Edition)
anzüglich.
»Nein.«
»Ich warte hier so lange auf ein Taxi.«
»Nicht nötig, danke.«
»Wie läuft’s eigentlich so mit Manju?«
»Prima.«
Schweigend gingen wir weiter, an der Notaufnahme vorbei, vor der so viele Menschen mit beklommenen Mienen Schlange standen, als wäre soeben eine Katastrophe über die Stadt hereingebrochen.
»Wie geht’s denn dir und Fiona?«, erkundigte ich mich nach einer Weile.
»Großartig.«
Anders als früher, als wir uns mehrmals pro Woche gegenseitig unter den Tisch getrunken hatten, waren José und ich in den letzten Monaten kaum noch gemeinsam durch die Bars gezogen. Der einst enge Kontakt hatte an Intensität verloren und obwohl wir nach wie vor beste Freunde waren, mussten wir uns jeweils von Neuem aufeinander einpendeln, wenn wir uns trafen. Was nicht unwesentlich damit zu tun hatte, dass sich unsere einst kongruenten Lebensmittelpunkte entscheidend verschoben hatten: José hatte ein Kind und ich keins. So einfach war das.
Nebenbei waren wir beide in Jobs tätig, die uns viel abverlangten, und hatten nicht weniger fordernde Freundinnen. Ein unwirtliches Klima für eine Männerfreundschaft, doch ich klammerte mich an die Vorstellung, wenn wir erst mal ein paar Drinks gekippt hatten, würde sich alles einrenken und wir wären wieder die Alten. Zumindest bis Sonntag früh.
Als ich mich nochmals umwandte, entdeckte ich endlich ein Taxi, das sich im Schneckentempo näherte.
»Zu Fuß wären wir schneller gewesen«, murrte José, als wir auf dem Rücksitz saßen und sich der Wagen zentimeterweise vorwärtsbewegte. Wir ruckelten an Einkaufszentren und Multiplexkinos vorbei, an Schauräumen für Sanitäranlagen und billige Einheitsmöbel, graue Industriegebäude mit Flachdächern wechselten sich mit Wohnsilos ab, eine triste Gegend, die wenig mit dem Madrid der Tourismusbroschüren zu tun hatte.
Nach der vorausgesagten Ewigkeit erreichten wir endlich den Paseo de la Habana. Die Adresse befand sich mitten im Bezirk Chamartín, einer aufgeräumten Gegend mit vielen Neubauten, von denen die meisten einen blockartigen Baustil aufwiesen. Offenbar hatte man in Spaniens Architektenzirkeln eine Zeit lang darum gewetteifert, wer mit der niedrigsten Anzahl Striche ein Haus entwerfen konnte.
Hinter Hecken und Zäunchen residierten Konsulate oder unbesetzt wirkende Hauptsitze ausländischer Firmen, die Wohnhäusern verfügten meist über einen Pförtner und hie und da erahnte man jenseits hoher Mauern ein prunkvolles Anwesen.
Ich wusste, welches die Nummer 143 war, lange, bevor wir sie erreicht hatten. Ein länglicher Block mit ziegelroter Backsteinfassade, nah an die Straße gebaut. Mannshohe Bäumchen verwilderten auf dem Rasenstreifen vor dem Haus, an einem fasrigen Strunk zitterten ausgedörrte Palmwedel in der sengenden Hitze. Vor den Fenstern befanden sich Gitter, die mit ihren Schnörkeln an die Gefängnisse aus Tausendundeiner Nacht gemahnten.
»Heute scheint Ruhetag zu sein«, stellte José fest und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Es war brütend heiß gewesen im Taxi und das Öffnen der Fenster hatte einzig bewirkt, dass sich der Innenraum mit stinkenden Abgasschwaden gefüllt hatte. Von Abkühlung keine Spur, dafür war Sauerstoffmangel zu einem ernsthaften Problem geworden.
»Nicht nur heute«, erwiderte ich, nachdem ich die verlassen wirkende Klinik begutachtet hatte. Ich löste das feuchte Hemd von meinem Rücken, betrat das Grundstück und drückte auf das namenlose Klingelschild. Hohl schrillte es durch das Gebäude. Kaum war der Hall verebbt, machte sich erneut diese eigenartige Stille breit, die von unbewohnten Häusern ausgeht.
»Da ist schon länger keiner mehr behandelt worden«, bemerkte ich und zog einen der wenigen offiziell aussehenden Umschläge aus dem Wulst sich wellender Gratiswerbung, der aus dem Briefkasten quoll. »Immerhin in einem Punkt hat uns Schwester Maria nicht angelogen: Doktor Sánchez hat tatsächlich hier praktiziert. Das Papier ist aber dermaßen verwaschen, dass die Adresse nur noch knapp und das Datum überhaupt nicht mehr zu entziffern ist.«
»Ob sie wohl gewusst hat, dass die Klinik seit Längerem geschlossen ist? Dank ihr sind wir ermittlungstechnisch in einer Sackgasse gelandet.«
Ich dachte über Josés Worte nach. »Ich würde ihr zutrauen, dass sie das in Kauf genommen hat.«
Wir gingen einmal ums Haus herum. Von der Frontseite gab es keine Möglichkeit, ins Gebäude hineinzulinsen, auf der Rückseite senkte sich
Weitere Kostenlose Bücher