Familienpoker: Vijay Kumars vierter Fall (German Edition)
auch – staubbedeckt.
»Die Computer haben sie mitgenommen«, stellte ich halblaut fest und deutete auf die Löcher für die Kabelanschlüsse in den Tischplatten.
»Oder sie wurden nachträglich geklaut.«
Ich ging den Korridor entlang und guckte in einige der Behandlungszimmer. Sie waren noch vollständig eingerichtet.
»Da hat es jemand richtig eilig gehabt fortzukommen«, rief ich José zu.
»Aber an die Unterlagen hat er gedacht«, hörte ich seine Stimme aus dem Empfangsbereich. »Die sind nämlich weg. Schränke und Schubladen sind komplett leer geräumt.«
»Guckst du jetzt mal die Zeitungsartikel nach?«
»Gleich, Schatz.«
Ich grinste. Trotz allen privaten Veränderungen verstanden wir uns immer noch blind. Es gab Bekannte, die behaupteten, wir seien eingespielt wie ein altes Ehepaar. Manchmal sah ich mich versucht, ihnen recht zu geben.
Am Ende des Ganges führte eine Treppe in den ersten Stock hoch. Dort bot sich mir ein ähnliches Bild wie unten: Anstelle von Behandlungsräumen befanden sich hier Krankenzimmer, auch sie waren tadellos eingerichtet. Wäre nicht die dicke Staubschicht über allem gewesen, man hätte meinen können, die Patienten seien nur kurz in die Cafeteria gegangen.
Ich nahm die Treppe am anderen Ende des Flurs, um wieder ins Erdgeschoss zu gelangen. Im Vorbeigehen guckte ich in die Räume. Den Geräten nach waren hier auch Untersuchungen gemacht worden. Plötzlich blieb ich wie angewurzelt stehen.
»José! Komm sofort her!«, schrie ich.
»Nicht jetzt! Hör dir das an! Das ist unglaublich!«
José schoss hinter dem Empfangstresen hervor, ohne den Blick vom Display seines Telefons zu lösen. »Dieser Sánchez hat weitergemacht!«
»Ich weiß! Wenn mich nicht alles täuscht, steht hier so ein Schalldingsbums. Wie man es bei Schwangerschaften benötigt, um das Baby anzugucken.«
»Was zum Teufel …« José kam herübergerannt und starrte auf den Apparat, der wie ein antiquierter Computer aussah und mit den vielen Knöpfen und Tasten an eine Schalttafel bei Raumschiff Enterprise erinnerte.
»Ein Ultraschallgerät, eindeutig, ich kenn mich da jetzt aus.« Er wandte sich wieder seinem Handydisplay zu. »Hier steht, dass Sánchez die Adoptionen wahrscheinlich von dieser Klinik aus weitergeführt hat. Illegal! Das linksliberale Blatt Público hat diese Behauptung in die Welt gesetzt, doch als man Nachforschungen angestellt hat, verschwand Sánchez von einem Tag auf den anderen. Übrig blieb nur die leer stehende Klinik. Aber das ist bei Weitem nicht alles, schon früher …« José vertiefte sich in den Artikel und als er wieder aufblickte, sah er zutiefst verstört aus. In einem solchen Zustand hatte ich ihn noch nie erlebt.
»Hier sind furchtbare Dinge geschehen!«, sagte er tonlos.
»Später!« Ich zog meinen Freund am Arm ins Ultraschallzimmer hinein, schloss die Tür bis auf einen schmalen Spalt und hielt den Finger angespannt lauschend an die Lippen. Mir war, als hätte ich eben ein Geräusch vernommen. Deutlich waren jetzt Schritte zu hören, der Eindringling war ebenfalls durch den Keller ins Haus gelangt und stieg nun die Treppe herauf. Glücklicherweise stand die Tür ins Erdgeschoss offen, sonst wäre ich nicht rechtzeitig gewarnt worden.
Wachsam spähte ich in den Korridor. Der Typ musste jeden Moment im Türrahmen auftauchen. Unsanft zerrte mich José von meinem Beobachtungsposten weg und äugte durch den Spalt.
»Coño!« , flüsterte er und wich langsam zurück. Schwer atmend lehnte er sich an die Wand.
»Was denn?«, formte ich mit den Lippen.
»Ist da jemand?«, hörte ich in dem Moment von draußen eine weibliche Stimme. Die Schuhe der Frau verursachten ein quietschendes Geräusch auf dem Kunststoffboden, als sie sich unserem Versteck näherte. Nur noch wenige Meter fehlten, bevor sie uns entdecken würde. Ich wagte mich nicht zu rühren.
»Ich weiß, dass da jemand ist.« Die Einbrecherin klang wachsam, aber keineswegs ängstlich.
Ruckartig stieß sich José von der Wand ab, langte an mir vorbei zur Klinke und riss die Tür auf: »Ich kann dir alles erklären, Mo.«
Das nächste Geräusch, das ich vernahm, war das Klatschen einer Ohrfeige.
»Ihr wart zusammen auf der Journalistenschule?«, versicherte ich mich ungläubig. Nachdem die erste Aufregung abgeflaut war, hatten wir uns auf Bürostühle im Empfangsbereich gesetzt. Während ich mich mit Mónica unterhielt, glotzte José aus dem Fenster und tat, als ginge ihn das alles nichts an.
»In
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