Family Affairs - Verbotenes Verlangen
mir einfach die Akte, und ich werde mich unverzüglich auf den Weg machen.“
Wieder fuhr er sich durch die Haare, bis die feinen Strähnen unordentlich von seinem Kopf abstanden.
„Wir sind gerade erst dabei, die Akte anzulegen. Machen Sie ein paar Notizen und ein paar Bilder, und dann sehen wir weiter.“ Er zog einen Zettel aus der Innenseite seines Jacketts und reichte ihn Chloe über den Schreibtisch hinweg. „Hier, die Adresse. Ich weiß, es ist ungewöhnlich, dass ich Sie so plötzlich damit überfalle, aber der Klient ist schwerer zu erreichen als die Queen.“
Sie nickte nur abwesend und starrte auf die Adresse. Soho. Nicht übel. Wenn sich die Wohnung nicht als totale Bruchbude herausstellte, würde ein Verkauf leicht werden. „Dann werde ich mich mal auf den Weg machen, bevor sich unser neuer Kunde wieder davonmacht. Wie heißt er eigentlich? Hier steht nur die Adresse und die Wohnungsnummer.“
Edgar wirkte erleichtert.
„Ich kann Ihnen gar nicht genug danken, dass Sie so kurzfristig einspringen.“
Sie lächelte ihn an. „Das gehört doch zu meinem Job. Und nachdem sich die Sache mit Mr. Turner auf so unerfreuliche Weise zerschlagen hat, habe ich das Gefühl, etwas gutmachen zu müssen.“
Edgar schüttelte den Kopf.
„Chloe, ich will nicht indiskret sein, aber ich habe durchaus mitbekommen, was es mit Turner und Ihrer Mutter auf sich hat. Niemand hier, schon gar nicht ich, nimmt Ihnen krumm, dass Sie ihm geraten haben, sich an eine andere Maklerfirma zu wenden. Unter diesen Umständen wäre es untragbar für Sie gewesen, ihn weiterhin zu betreuen, und mir ist eine dauerhaft fähige Mitarbeiterin lieber als ein einmaliger Abschluss.“
Erleichterung fuhr durch ihren Körper, und ihr Lächeln wurde noch strahlender.
„Danke, das bedeutet mir wirklich viel.“
Edgar nickte ihr begütigend zu und verließ sie einige Minuten später, damit sie aufbrechen konnte. Erst als er weg war, fiel ihr auf, dass er vergessen hatte, ihr den Namen des Kunden mitzuteilen.
Eine knappe Stunde später stieg Chloe schnaufend die Stufen eines umgebauten alten Fabrikhauses hinauf und fragte sich mit einem Hauch Verzweiflung, warum sie immer wieder an solche Objekte geriet. Soho war zwar berühmt für seinen kulturellen Einfluss, und viele Künstler pflegten einen fast schon minimalistischen Lebensstil, um den Kopf frei zu haben für ihre Arbeit, aber musste das denn automatisch bedeuten, dass man mehrstöckige Häuser ohne Fahrstühle ertragen musste?
Ziemlich außer Puste bewältigte sie Stufe für Stufe zu Fuß, bis sie vor der besagten Wohnung stand und ziemlich indigniert auf die Holztür starrte, deren Lack schon derart abgeblättert war, dass die Oberfläche aussah wie die schuppige Haut eines Fisches. Sie kramte den Zettel noch mal aus ihrer Tasche und vergewisserte sich, ob sie hier auch wirklich im richtigen Haus gelandet war. Sie glättete das zerknitterte Papier und starrte auf die schwungvolle und sehr großzügige Handschrift, die nicht von Edgars Feder stammte. Er hatte eher eine feine und zierliche Schrift, fast schon ein wenig weiblich Zu ihrem Leidwesen stellte sich die Adresse als völlig korrekt heraus.
Sie sah sich weiter um und unterdrückte ein Seufzen, weil diese wenig ansprechende Umgebung nicht ganz das war, was sie erwartet hatte. Wahrscheinlich war dem Bauträger während der Renovierung das Geld ausgegangen. Im Eingangsbereich war noch weitestgehend alles in Schuss, doch mit jedem weiteren Stockwerk ließ die Optik mehr zu wünschen übrig. Farbe, die von den Wänden splitterte, morsche Geländer. Die Stufen der Treppe stöhnten so herzzerreißend, dass sie schon befürchtete, sie würden unter ihr zusammenbrechen.
Leicht frustriert ballte sie die Hand zu einer Faust und klopfte dreimal kurz hintereinander an, als sie endlich vor der besagten Wohnung stand. Sie runzelte die Stirn, während ihre Augen suchend die Seiten neben der Tür absuchten. Nicht mal eine Klingel gab es hier. War es denn zu fassen?
„Hallo, ist da jemand?“
Gleich darauf bekam sie eine gedämpfte Antwort.
„Es ist offen, kommen Sie einfach rein.“
Sie drückte vorsichtig die Klinke runter, und tatsächlich gab die Tür mit einem wenig vertrauenerweckenden Knarren nach. Ein wenig befangen betrat sie die Wohnung und stand mitten in einem kalkweiß gestrichenen Flur. Keine Möbel, kein Mensch. Alles, was sie empfing, waren gähnende Leere und ein einzelnes überdimensionales Fenster am Ende des
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