Fantastische Jungs. Gay Fantasy Geschichten.
nach hinten. Schaudernd drehte ich mich zu dem mit weißen Blumen reich dekorierten Laderaum um. Dort stand ein dunkler, geschlossener Holzsarg mit verschnörkelten Bronzegriffen.
»Eine Konzession an die heutigen Sitten«, erläuterte Charon. »Früher hatten wir bemalte oder mit Edelsteinen eingelegte Sarkophage, manchmal sogar Goldsärge.«
Ich schlafe nur!, schoss es mir durch den Kopf. Ich bin auf Manuels Grab vor Erschöpfung eingenickt und träume einen grässlichen Traum. Liebster Manolo – weck mich auf! Küss mich, wie du mich so oft am Morgen geküsst hast!
Charon räusperte sich.
»Wie alt sind Sie?«, fragte er.
»Fünfundzwanzig, und Manuel war achtundzwanzig«, gab ich in Gedanken versunken zurück. Plötzlich durchzuckte mich eine neue Idee. »Sie sind ganz bestimmt ein abartiger Komödiant oder ein total kaputter Psychopath! Manuel ist bei einem Zugunglück ums Leben gekommen. Er war total entstellt! Und dieser Komparse vorhin, den Sie mir als Manuel präsentieren wollten, sah vollkommen unverletzt aus!« Ich atmete tief durch. Jetzt hatte ich diesen Kerl in der Falle!
Charon ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.
»Mein lieber, junger Freund«, erläuterte er jovial, »es wäre wirklich traurig, wenn wir solche kleinen Probleme nicht lösen könnten. Haben Sie je gehört, dass berühmte Helden wie Achilleus oder sein geliebter Freund Patroklos vom Kampf blutüberströmt vor unseren Fürsten Hades getreten wären? – Achtung!«, rief er unvermutet und trat auf die Bremse.
Ehe ich überhaupt erkennen konnte, was geschah, krachte rechts neben mir ein Wesen unter ohrenbetäubendem Gelärme an die Autoscheibe. Ein zähnestarrendes, geiferndes Maul drängte sich durch den schmalen Lüftungsspalt des Fensters, und eine blaurote, speichelglitzernde Zunge leckte gierig nach meinem Ohr. Es kam mir so vor, als wären es drei Mäuler und drei Zungen! Mit einem Schreckensschrei fuhr ich zurück und drückte mich dabei unabsichtlich an Charons Schulter.
»Er tut Ihnen nichts, wenn ich dabei bin«, meinte er amüsiert. »Aus, Kerberos!«, rief er laut zu dem Untier hin.
Knurrend zog sich der Höllenhund zurück. Mit Schaudern betrachtete ich das riesige Tier, das sich jetzt hechelnd neben die Straße legte. Im Licht der Scheinwerfer sah ich, dass er tatsächlich drei Köpfe besaß. Die langen, nassen Zungen hingen tropfend zwischen den gewaltigen Fangzähnen aus den drei Mäulern.
»Er hat mich zu Tode erschreckt«, stöhnte ich. „Wo kam er plötzlich her?«
»Wir sind soeben in das Reich unseres Fürsten Hades, in die Unterwelt, wie die Menschen sagen, eingefahren. Früher gab es bekanntlich nur einen Wachhund, aber seitdem wir so viele Zufahrten haben, müssen wir an jeder Stelle einen einsetzen. Eigentlich lassen die Hunde keinen lebenden Menschen durch – mit Ausnahmen. Sie erinnern sich, aus dem Schulunterricht vielleicht, an Orpheus?«
»Ja«, sagte ich sehr leise. »Er bezauberte Kerberos mit Musik und gelangte in die Unterwelt, um nach Eurydike zu suchen, dem liebsten Menschen, den er hatte.«
»Sieh an«, warf Charon erfreut ein. »Sie haben ja doch ein wenig Bildung! Aber heute werden unsere Zufahrten zusätzlich elektronisch überwacht. Man weiß also in der Zentrale bereits, dass ich einen Gast mitbringe.«
In einer fatalistischen Anwandlung lehnte ich mich entspannt zurück. Wozu sollte ich mich aufregen? Träumte ich, so war es gut. Wäre ich wach und steckte mitten in einer verrückten Reality-Fernsehshow, war es auch gut. So oder so war ich beschäftigt und grübelte nicht über Manuels Tod.
Ich sah aus dem Fenster. Draußen hatte es sich ein wenig aufgehellt. Eben fuhren wir über eine imponierend konstruierte Brücke, eine Mischung aus Golden Gate Bridge und Eiffelturm. Tief unten strudelte düsteres Wasser, aufgelockert von nur wenigen Schaumkronen.
»Sie bewundern unseren Fluss?«, ließ sich Charon wieder vernehmen. »Der Styx windet sich neunmal um Fürst Hades’ Reich.«
»Wird ‘Styx’ nicht mit ‘Grausen’ übersetzt?«, erinnerte ich mich nebulös.
Charon antwortete nicht.
Ich betrachtete die weite, kahle, in triste Dämmerung getauchte Ebene, die wir jetzt durchquerten. Auf den Straßen sammelten sich nach und nach immer mehr Leichentransporte, die alle in dieselbe Richtung fuhren; keines der anderen Autos sah indessen so teuer und gediegen aus wie Charons Wagen. Sonst war jedoch in der weitläufigen, dürren Wüstenei nicht eine Menschenseele zu
Weitere Kostenlose Bücher