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Fantastische Jungs. Gay Fantasy Geschichten.

Fantastische Jungs. Gay Fantasy Geschichten.

Titel: Fantastische Jungs. Gay Fantasy Geschichten. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Janus
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Himmel war hell geworden – nachmittägliche Oktobersonne überstrahlte die Landschaft. Ich erkannte jetzt schon die Dörfer, durch die wir fuhren, die Berliner Stadtgrenze, die Straßen. Reges Treiben herrschte, Berufsverkehr, Menschen. Lebende Menschen!
    »Ich bringe Sie nicht direkt bis vor Ihr Haus«, meinte Charon. »Ihre Nachbarn könnten es merkwürdig finden, wenn Sie in einem Leichenwagen kommen.« Er hielt in einer unbelebten Seitenstraße. Ich stieg aus.
    »Danke!«, sagte ich bewegt zu Charon. »Vielen, vielen Dank!«
    Charon steckte den Kopf aus dem Autofenster.
    »Die Ankündigung einer jahrzehntelangen Unsterblichkeit Ihrerseits war selbstverständlich auch nur ein Bluff«, erklärte er. »Achten Sie also gut auf sich! Und was Ihren Manuel betrifft – es ist erst einmal für fünf Jahre, wie vereinbart. Dann besuche ich Sie und sehe mir Ihren Alltag an.« Er fuhr plötzlich an und ließ mich verblüfft zurück.
    »Halt!«, schrie ich ihm nach. »Was ist mit Manuel? Wo ist er?«
    Der schwarze Wagen bog lautlos um die nächste Ecke und verschwand.
    Ich stand da in maßloser, ohnmächtiger Wut. Überlistet! Ausgetrickst! Sie hatten Manuel – und mich waren sie los! Aber sie rechneten nicht mit meiner Hartnäckigkeit. Jetzt wusste ich Bescheid! Ich würde in diesen verdammten Asphodeliengrund zurückkommen, und wenn ich ganz Brandenburg unterhöhlen und sämtliche Kampfhunde vergiften müsste!
    Ich ballte die Fäuste in den Taschen – und stieß auf mein Portemonnaie und meine Schlüssel. Ich konnte mich nicht erinnern, beides aus meinem alten, durchweichten Anzug herausgenommen zu haben. Sicher hatte Minikos daran gedacht. Der gute Minikos! Nur ein willenloses Werkzeug seiner heimtückischen Arbeitgeber!
    Finster entschlossen wandte ich mich zur Hauptstraße hin und lief die dreihundert Meter bis zu dem Haus, in dem ich ein Jahr lang glücklich mit Manuel gewohnt hatte. Ich betrat den Hausflur. Im Briefkasten steckten noch die Zeitung und die Post, denn ich war seit elf Uhr nachts unterwegs gewesen. Ich nahm beides achtlos an mich. Langsam stieg ich die Treppen hinauf und schloss die Wohnungstür auf. Alles war so, wie ich es letzte Nacht verlassen hatte. Nein – nicht ganz! Das Bett – besser gesagt: auch die Hälfte unseres großen Bettes, in der Manuel immer geschlafen hatte – war ungemacht!
    Ich starrte auf das zerwühlte Bettzeug. Das letzte Mal hatte dieses Bett vor fünf Tagen, am vierten Oktober, so ausgesehen. Wir hatten verschlafen, ausgerechnet an diesem wichtigen Tag, an dem Manuel den Termin in der Hamburger Galerie gehabt hatte. Deshalb war er nur blitzartig ins Bad und dann in seine Kleider gesprungen und rasch allein mit einem Taxi zum Bahnhof gefahren – nicht mit seinem eigenen Wagen, sondern chauffiert von einem Kollegen. Und hatte den Zug noch bekommen – den Unglückszug!
    Hektisch riss ich die Zeitung, die ich eben noch gleichgültig mit der Post zusammen auf einen Tisch gelegt hatte, an mich und suchte das Datum. ‘Freitag, 4. Oktober’, stand da wie selbstverständlich. Ich stürzte zum Radio hin und stellte einen Nachrichtensender ein.
    »– wurde die Zahl der Toten nach dem schweren Zugunglück, das sich heute früh auf der Strecke Berlin – Hamburg ereignete, von zweiundsechzig auf einundsechzig korrigiert. Der Pressesprecher der Deutschen Bahn bedauerte –«
    Ich schaltete ab. Im Zeitlupentempo überlief mich ein heißes Kribbeln. Es begann im Nacken und rieselte brennend über die Schultern den Rücken hinunter. Da läutete es Sturm.
    Benommen schüttelte ich den Kopf.
    »Nein«, flüsterte ich. »Das … das ist … sicher … ich weiß nicht …«
    Die Klingel überschlug sich förmlich. Endlich schloss jemand von außen auf. Die Tür flog an die Korridorwand. Ein Mann stürzte herein, ein großer, schöner, schwarzlockiger Mann mit riesigen, andalusischen Augen, einer gewaltigen Nase und perfekt geformten Lippen, und alles an diesem Mann strahlte und lachte und war glücklich.
    »Otto! Ottolito!«, rief er und breitete die Arme aus. »Küss mich! Ich bin der größte Maler der Welt!«
    »Ma-no-lo!«, wisperte ich. Ich konnte mich nicht rühren.
    »Was, du willst mich nicht küssen? Hast du einen andern Kerl im Kleiderschrank versteckt?« Er packte mich und presste seinen Mund auf meine Lippen. Ich spürte Manuels Zunge, eine warme, feste Zunge, sie drang in meine Mundhöhle ein wie ein wildes, heißes, springlebendiges Tier. Da fiel alle Starrheit von mir ab.

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