Farben der Liebe
Gewissen wuchs mit jedem Tag, an dem wir uns nicht sahen. War mein Verhalten ihm gegenüber nicht etwas rüde gewesen? Hatte meine abweisende Art ihn am Ende sogar beleidigt?
Müde zappte ich durch die Programme, keine Ahnung, wie spät es war. Vielleicht drei oder vier Uhr?
Mein Herz tat einen kräftigen und, wenn ich ehrlich war, merkwürdigen Sprung. Seine Worte kamen mir immer wieder in den Sinn. Viel zu süß für eine Hete, hatte er gesagt.
Aber Männer konnten doch gar nicht süß sein, oder? Süß waren doch nur Frauen oder kleine Jungs.
Langsam fielen mir die Augen zu. Just in diesem Moment, als ich einnickte, ertönte ein zögerliches Klopfen an meiner Tür. Im ersten Augenblick ließen sich meine Augen nicht öffnen, wach war ich trotzdem und wartete mit angespanntem Körper. Eine Zeit lang tat sich nichts, erst als sich meine Glieder wieder entspannten klopfte es erneut, diesmal deutlicher.
Wer das wohl war? „Sven?“ Meine Stimme klang furchtbar heiser.
Eine Antwort bekam ich nicht, dafür klopfte es ein weiteres Mal.
Jetzt war ich wach und erhob mich aus dem Bett, bewegte mich langsam auf die Tür zu und warf einen Blick durch den Spion. Mein Nachbar grinste mir entgegen.
„Philip?“ Ich schloss die Tür auf und öffnete sie ein Stück. Meine Augen schmerzten in dem grellen Licht, das aus dem Flur ins Zimmer fiel.
„Sorry, hast du geschlafen?“ Er lächelte.
„Nee, ich bin wohl nur kurz eingenickt.“
Sein Lächeln wurde zu einem grinsen. „Also doch geschlafen?“
Ein verlegenes, kleines Lächeln ließ meine Mundwinkel zucken. „Nur kurz.“
Philip hob eine Tüte hoch. „Wir waren ein paar Tage mit den Jungs in der Nachbarstadt und da hab ich mir gleich etwas Anständiges zu trinken besorgt. In der Minibar gibt’s ja nur Dosenbier.“
Dass er sich nicht im Hotel herumgetrieben hatte war mir ja schon aufgefallen.
„Darf ich reinkommen?“
„Ja, sicher.“ Ich machte einen Schritt zur Seite, um ihn eintreten zu lassen. Für gewöhnlich lud ich nie fremde Menschen einfach mal so mitten in der Nacht in mein Zimmer. Eigentlich nicht so mein Ding, aber bei Philip war es etwas anderes. Warum auch immer.
„Wollen wir auf den Balkon? Es ist richtig schön warm draußen.“
Der Besuch kam ja recht überraschend, besonders weil ich nicht mehr damit gerechnet hatte.
„Klar, wieso nicht?“ Meine Füße folgten ihm wie von selbst nach draußen.
Philip ließ sich auf einem der Plastikstühle nieder und legte die Füße auf das Geländer hoch. „Komm, setz dich zu mir!“ Er zog einen zweiten Stuhl dicht an sich heran und kramte eine Flasche aus der Tüte, zusammen mit zwei Plastikbechern.
Etwas schüchtern setzte ich mich neben ihn. Da grübelte man nun zwei Tage lang darüber, wie man sich entschuldigen konnte und plötzlich waren all die Konversationen, die man in seinem Oberstübchen führte, total verflogen. Allerdings galten die Szenarien auch nur für zufällige Begegnungen.
Wie es jedoch ablaufen würde, wenn er so bei mir reinplatzte, war mir unklar. Es sollte auch nicht so aussehen, als ob ich mich nur entschuldigte, weil er gerade zufällig bei mir aufkreuzte.
„Na, wie läuft’s denn mit Junior?“ Philip drückte mir einen Becher in die Hand und fragte nicht einmal, ob ich trank. Klar war ich trinkfest, mich haute so schnell nichts um, aber das konnte er ja nicht wissen.
„Nicht so entspannt, wie ich es mir erhofft hatte“, murmelte ich und rieb mir verschlafen die Augen. „Danke …“ Was mochte das nur sein? Wodka? So unauffällig wie möglich versuchte ich den Inhalt zu erschnuppern, der kräftig nach Lakritze roch.
Philip prustete. „Was hat er angestellt?“
Wäre es denn klug ihm davon zu erzählen? Dass Sven die ganze Zeit auf der Suche nach ihm war? Und was würde Philip tun? Er hatte doch gesagt, dass er kein Interesse an Kindern hatte.
Mein misstrauischer Blick musterte ihn von der Seite. Kühle, eisblaue Augen blickten zurück.
Meine Gedanken schlugen Purzelbäume.
Philip begann zu grinsen. „Warum starrst du mich so böse an?“
Schnell blickte ich zur Seite und nahm einen vorsichtigen Schluck aus meinem Becher. Hatte ich das wirklich getan?
„Hat es irgendwas mit mir zu tun?“ Philip schien nicht wirklich gekränkt zu sein.
Mist, es ging nicht anders. „Er sucht die ganze Zeit nach dir.“
„Nach mir?“
Mir wurde ganz flau im Magen. „Ja, er findet dich total scharf .“
Philip lachte schallend los und schüttelte den Kopf.
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