Farlander - Der Pfad des Kriegers - Buchanan, C: Farlander - Der Pfad des Kriegers - Farlander
kam zu spät, und er wusste es.
Asch stieg höher und entfernte sich von der hintersten und höchsten Tribünenreihe, die am weitesten von der Arena entfernt lag. Er kletterte eine rostige Eisenleiter hoch, die an der äußeren Wand des Stadions befestigt war, und kam an guanofleckigen Wasserspeiern und Statuen von Berühmtheiten des Reiches vorbei. Kurz zuvor waren hier noch Soldaten postiert gewesen, doch nun kümmerten sie sich um die aufmüpfigen Teile der Menge, denn die Leute warfen inzwischen mit allen möglichen Gegenständen und wollten, dass ihr Ruf nach Gnade Gehör fand.
Er war schwach vor Übelkeit und hatte kaum noch Kraft. Dennoch kletterte er weiter, getrieben von dem Schrecklichen, das getan werden musste. Es gab nur eines, was er jetzt noch für den Jungen tun konnte, und das Wissen darum drückte ihm schwer auf die Eingeweide.
Nico hatte sich gut geschlagen. Asch war gerade noch rechtzeitig eingetroffen, um seinen Kampf gegen die Wölfe zu beobachten. Währenddessen hatte er sich im Stadion unablässig nach einer Inspiration umgesehen –
nach einer Möglichkeit, seinen jungen Gesellen zu retten. Aber ihm war kein rettender Einfall gekommen.
Hoffnung war in ihm aufgeflackert, als Nico entgegen der allgemeinen Erwartung den Kampf gewonnen und die Zustimmung der Menge errungen hatte. Doch nun hatte sich alles wieder geändert und war erneut zum Alptraum geworden. Die Matriarchin hatte vom Tod ihres Sohnes gehört, das war eindeutig, und dafür wollte sie sich vor allen Augen an diesem Jungen rächen. Das war das Wesen des Kummers und die Saat der Gewalt. Asch erkannte, dass es seine eigene Schuld war. Er hatte dieses Schicksal auf den Jungen herabbeschworen.
Unten auf dem Boden der Arena hatten sie einen Pfosten auf den Scheiterhaufen gepflanzt, und Nico wurde soeben daran festgebunden. Er schien nicht mitzubekommen, was sie mit ihm machten; sein Gesicht zeigte zum Himmel. Die Enden von drei langen Ketten waren über die Spitze des Pfostens geschlungen worden. Akolyten standen mit stoffumwickelten Händen da und hielten die anderen Enden so, dass die Ketten schlaff hingen. Weitere Akolyten begossen den Holzstoß mit Öl.
Asch wusste, wie die Mhannier so etwas machten. Wegen des Öls würde der Scheiterhaufen rasch Feuer fangen, und für das Opfer bestand keine Aussicht, durch den Rauch ohnmächtig zu werden. Sie würden ihn bei lebendigem Leibe verbrennen und ihn herausziehen, sobald er nicht mehr schrie. Wenn sie den richtigen Augenblick abgepasst hatten – und das wurde in Q’os als eine Art Kunst betrachtet, denn so waren die Menschen
hier nun einmal –, dann lebte das Opfer noch, und sein ganzes Fleisch war versengt und wund. Es würde angenagelt und öffentlich zur Schau gestellt, bis es unter schrecklichsten Schmerzen endlich starb.
Das durfte Asch nicht zulassen.
Wie auf ein Stichwort hin erschienen weitere Weißroben um den Scheiterhaufen und hielten noch nicht entzündete Fackeln. Sie steckten diese an, während die an den Wänden postierten Soldaten die vorwärts drängende Menge zurückhielt.
Nun hatte Asch die Mauerkrone erreicht und lag einige Minuten auf der harten Brustwehr. Sein Schädel fühlte sich an, als steckte er in einem Schraubstock, und Übelkeit ergoss sich durch seinen Körper.
Die Wunde in seinem Bein hatte sich wieder geöffnet, und er spürte, wie seine Kraft in den Stiefel tropfte, sich dort sammelte und langsam durch das Leder leckte. Asch suchte in einer seiner Taschen herum, bewegte dabei nur den Arm, sonst nichts. Er zog seinen Dulce-Beutel hervor, schob sich einige Blätter in den Mund und legte den Kopf wieder auf den Steinboden. Reglos wartete er darauf, dass die Übelkeit nachließ.
So weit sich Asch zurückerinnern konnte, hatten sich die Menschen immer darüber beschwert, dass das Leben zu kurz sei. Darüber hatte er sich oft gewundert, denn schon seit vielen Jahren erschien ihm das Leben als viel zu lang. Vielleicht hatte er lediglich nur mehr Wiedergeburten erlebt als andere – wie einige daoistiche Mönche es die Menschen glauben machen wollten –, und dieses Spiel des Lebens war für ihn ganz einfach so fadenscheinig
geworden, dass er allzu leicht hindurchsehen konnte. Vielleicht war es an der Zeit, dieses Lebensrad endgültig zu verlassen, wie diese Mönche es auszudrücken pflegten.
Auf seine eigene kritische und zweiflerische Art konnte Asch nicht sagen, ob er an irgendetwas davon glaubte. Wer konnte über diese Dinge schon etwas
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