Farlander - Der Pfad des Kriegers - Buchanan, C: Farlander - Der Pfad des Kriegers - Farlander
sehen könnte. »Bei einem meiner Großväter war es dasselbe«, sagte er. »Nicht dass er wirklich mein Großvater war. Ich habe ihn nur so genannt. Er ist bei der Verteidigung des Schildes gestorben. Ich erinnere mich, dass er auch diese Blätter gekaut hat. Als ich ihn danach gefragt habe, hat er gesagt, das würde er wegen seiner Augen tun. Sie waren immer schlechter geworden, und das Blinzeln hat ihm Kopfschmerzen verursacht.«
Die Koje knirschte; der alte Mann hatte ihm den Rücken zugedreht.
»Meine Augen sind sehr gut«, murmelte er. »Schlaf jetzt, Junge.«
Nico seufzte, rollte sich auf den Rücken und starrte in die Schwärze. Er wusste, dass der Schlaf noch weit weg war.
Irgendwo über seinem Kopf schritt ein Stiefelpaar in der Kajüte des Kapitäns durch die Nacht, hin und her, hin und her.
KAPITEL SECHS
Die Vögel des Krieges
Bei Sonnenaufgang waren keine weiteren Segel zu erkennen. Irgendwann in der Nacht hatten sie die feindlichen Schiffsformationen passiert, während Nico sich in seiner Hängematte hin und her geworfen hatte, und seine kurzen Phasen des Schlafes waren mit unangenehmen Träumen erfüllt gewesen. Asch war schon aufgestanden, als Nico schließlich in einer leeren Kabine erwachte. Das frühe Morgenlicht mästete das Fenster, als der Horizont in seinen Rahmen rutschte. Das Schiff stieg auf.
Nico lauschte dem Gespräch der Männer in der geschäftigen Düsterkeit des Mannschaftsraumes, während er sich müde an der Theke der Kombüse festhielt und gebutterten Kisch sowie Samenküchlein auf seinen Teller häufte. Die Männer waren in besserer Laune, da sie in der Nacht die mhannische Blockade überwunden hatten, und nun bedachten sie ihn wenigstens nicht mehr mit bösen Blicken. Aber es herrschte das Gefühl, dass die Gefahr nicht vorüber war.
Nico aß sich satt; sein Körper gierte noch immer nach der Nahrung, die ihm mehr als ein Jahr lang nur spärlich gewährt worden war. Er ließ sich viel Zeit mit seinem geteerten Lederbecher voll Chee, dachte an die Bettlerbrühe und fragte sich, was nun wohl Lena und die anderen machten, die er in der Stadt gekannt hatte. Er dachte sogar an seine Mutter. Allmählich wurde er richtig wach.
Kaum hatte er seinen Chee getrunken, als er vom unerwartetsten aller Geräusche aufgeschreckt wurde – von einem Jagdhorn, das vom Oberdeck herabtönte. Die Männer erstarrten, und Stille flutete durch den Raum.
Das Horn erklang abermals und stieß drei hohe Töne aus. Schritte hämmerten auf die Planken über Nicos Kopf.
Unter hastigen Flüchen setzten sich die Männer in Richtung der Treppe und der Kanonen in Bewegung, die zu beiden Seiten des breiten Raums standen.
Als die Schießscharten geöffnet wurden, überspülte Sonnenlicht das Zimmer mit der niedrigen Decke. Nico stand mit einem Gefühl der Panik in der Brust auf. Die Männer brüllten und zogen an Seilen, mit denen die Rohre der kleinen Kanonen durch die Öffnungen gezogen wurden. Ein Mann drängte sich grob an ihm vorbei, ohne sich dafür zu entschuldigen; andere holten rasch Kugeln und Schwarzpulver oder mühten sich mit Kübeln voller alter Nägel, Kieselsteinen und zusammengerollter Ketten ab und scheuchten fluchend alle aus dem Weg. Eine Brise wehte durch die Schießschächte herein, zersetzte die rauchgeschwängerte Atmosphäre
des Raums und brachte das Geräusch peitschender Leinwand und Brennstoff verzehrender Antriebsröhren mit. Neugier zog ihn an eine der Öffnungen heran. Während das Schiff noch immer stieg, taumelte er quer durch den Raum zum Tageslicht und stützte sich mit der Hand an einem niedrigen Balken über ihm ab.
Einer der Männer an der Kanone steckte den Kopf durch den Schießschacht. Nico lehnte sich zur Seite, bis er an ihm und der Kanone vorbeisehen konnte.
Ein weißer Fleck trieb unmittelbar auf sie zu.
»Ein Kriegsvogel«, verkündete der Mann, als er den Kopf in das Innere des Raums zurückzog und sich über das grimmige Gesicht wischte.
Nico wurde von dem plötzlichen Drang erfüllt, Asch zu finden und an seiner Seite zu sein. Er drehte sich um und eilte auf die Treppe zu. Berl war vor ihm, beladen mit einem Armvoll Waffen.
»Nimm dir eine«, sagte der Junge, während sie beide nach oben kletterten.
Nico ergriff das erste, was ihm in die Hand kam; es war eine stummelige Klinge in einer sechs Zoll breiten Scheide.
An Deck herrschte ein furchtbares Durcheinander. Männer, die sich schon mit Schwertern oder Ästen bewaffnet hatten, halfen einander in
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