Farlander - Der Pfad des Kriegers - Buchanan, C: Farlander - Der Pfad des Kriegers - Farlander
berührt. Sie waren zu unwissend, um den Ernst der Lage zu erkennen, und ihre harte Ausbildung führte dazu, dass sie ihre jugendlichen Gedanken ausschließlich auf die Belange des täglichen Lebens richteten.
Es war Nico noch nie leichtgefallen, Freunde zu finden, und er musste feststellen, dass sich daran auch hier an
diesem Ort fernab der Welt nichts geändert hatte. Die ständige Gegenwart der anderen erschöpfte ihn, und er flüchtete sich oft in sich selbst. Nico wusste, dass er aus diesem Grund manchmal überheblich wirkte.
In der Vergangenheit hatte ihm diese Zurückhaltung oft Schwierigkeiten eingebracht, doch hier war es ganz anders. Die übrigen Lehrlinge schienen Nico zu mögen und scherzten und sprachen gern mit ihm. Aber sie spürten auch seine Ferne, und da sie ihn inzwischen etwas besser kannten, betrachteten sie dies nicht als Anmaßung, sondern lediglich als sein Verlangen, allein gelassen zu werden. Diesen Wunsch respektierten sie und schlossen ihn dadurch oft von den Momenten wahrer Kameradschaft aus, die sie miteinander teilten, so dass es ihm auch dann, wenn er ihre Gesellschaft wirklich suchte, nicht leichtfiel, die Kluft zwischen ihm und den anderen zu überbrücken. Daher war es eine Ironie des Schicksals, als er herausfand, dass ein weiterer Lehrling die gleichen Gefühle hegte – und dass es sich dabei ausgerechnet um Aléas handelte.
Auch Aléas wurde allgemein geschätzt, aber er war Barachas Lehrling, der rundweg verachtet wurde. Und dann war da noch Aléas’ Verhalten. Auf seine Weise war der junge Mann demütig, doch es blieb den anderen nicht verborgen, wie brillant er in Wirklichkeit war. Das beunruhigte seine Altersgenossen. Ein solches Talent, kombiniert mit Bescheidenheit, rief in ihnen das Gefühl der Unterlegenheit gegenüber Aléas hervor. Ein derartiges Kräftespiel war nicht unbedingt dazu angetan, eine feste Grundlage für Freundschaften zu bilden.
Weil sowohl Nico als auch Aléas Außenseiter waren, redeten sie miteinander. Ihre Wege schienen sich zu gleichen. Manchmal lachten die beiden jungen Männer über etwas, das nur sie lustig fanden, oder der eine unterstützte den anderen in einer hitzigen Gruppendebatte. Oft wurden sie einander zugeordnet, wenn niemand sonst mit ihnen arbeiten wollte. Dennoch blieben sie zueinander ebenso auf Distanz wie zu den anderen. Nico war von diesem selbstsicheren jungen Mann ein wenig eingeschüchtert, während Aléas sich an den Wunsch seines Meisters gebunden fühlte, demzufolge er Abstand zu Nico halten sollte.
Für Nico, den geborenen Einsiedler, war das Leben hier ganz und gar nicht so, wie er es sich vorgestellt hatte, obwohl er eigentlich bei seiner Ankunft kein klares Bild von dem gehabt hatte, was ihn erwartete. Doch welche undeutlichen Erwartungen er auch immer an diesen seltsamen Ort gestellt haben mochte, an dem Männer zu Mördern ausgebildet wurden, so waren sie nicht erfüllt worden.
Jeden Tag zerhackte er stundenlang Luft auf dem Übungshof, er erstach und erwürgte Strohpuppen, versteckte sich vor eingebildeten Feinden und feuerte Pfeile auf ferne Ziele ab, die wie Menschen aussahen. Aber er war so sehr damit beschäftigt, alles gut zu machen, seinen Ruf zu festigen und die Herausforderungen eines jeden neuen Tages zu meistern, dass ihm kaum Zeit blieb, diese Taten mit dem in Beziehung zu setzen, was sie wirklich bedeuteten, oder sich Gedanken über den Weg zu machen, den er nun eingeschlagen hatte. Denn
er war sorgfältig dazu ausgebildet worden, Schwellen zu überschreiten, ohne dabei zu zögern oder nachzudenken. Eines Tages wurde von ihm erwartet, kaltblütige Morde zu begehen.
Doch das würde nicht so bald geschehen, und in der Zwischenzeit machte ihn die harte Ausbildung immer unempfänglicher für diese Aussicht. Die großen Anstrengungen, die er auf sich nahm, verschleierten die Gedanken an das, wohin dies alles führte. Nach einer Weile dachte Nico nicht mehr darüber nach.
Es war eine angenehme Überraschung für ihn, als er bemerkte, dass er sich allmählich auf die Meditationslektionen freute. Sie fanden zweimal täglich statt und dauerten jedes Mal eine ganze Stunde. Einige Lehrlinge hatten ihre Schwierigkeiten mit diesen Stunden – vor allem jene, die einen anderen Glauben als den Daoismus hatten, was Nico seltsam fand, denn von den Lehrlingen wurde lediglich gefordert, die daoistischen Praktiken des Stillseins zu übernehmen.
Nico war kaum ein gläubiger Mensch und hatte sich nicht um die
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