Farmer, Philip José - Flusswelt 02
wiedersah. Sam selbst hatte die Jahre mit einem halben Dutzend anderer Frauen verbracht, und es war idiotisch, anzunehmen, daß es ihr anders ergangen war. Aber er hatte dennoch erwartet, daß sie ihren Partner wieder verlassen würde, sobald sie ihn sah.
Aber dazu war es nicht gekommen. Sie liebte diesen Bergerac.
Seit jener Nacht, in der sie so plötzlich aus dem Nebel des Flusses erschienen war, hatte Sam sie fast jeden Tag gesehen. Sie hatten sich miteinander in freundschaftlichem Ton unterhalten, und hin und wieder eine Situation erlebt, in der sie wie in den alten Tagen auf der Erde lauthals miteinander lachten oder Scherze machten, und manchmal konnte man an ihrer beider Blicke erkennen, daß die alte Liebe erneut zwischen ihnen aufflackerte. Und dann, wenn Sam das Gefühl hatte, es nicht mehr länger aushalten zu können, während sie lachte und er das Gefühl verspürte, weinen zu müssen, hatte er einen Schritt auf sie zugetan, während Livy schnell an Cyranos Seite zurückgekehrt war, als sei dieser Mann er, und er selbst, Samuel, ein völlig anderer.
Jede Nacht verbrachte sie mit diesem dreckigen, ungeschlachten, spitznasigen, weichkinnigen, adamsäpfeligen, aber farbigen, intelligenten, schlagfertigen, energischen, talentierten und scharfzüngigen Franzosen. Dieser kraftstrotzende Gockel, dachte Sam. Er konnte ihn sich gut vorstellen, wie er durch das Zimmer sprang, krähend vor Geilheit, und die hellhäutige, kurvenreiche Gestalt Livys bestieg, wobei er unentwegt auf und nieder hüpfte und Geräusche ausstieß wie ein Laubfrosch…
Es lief ihm kalt den Rücken hinunter. All das machte ihm zu schaffen. Selbst wenn er gelegentlich heimlich eine Frau mit in seine Hütte nahm – wobei für seine Geheimnistuerei absolut kein Grund bestand –, konnte er Livy nicht vergessen. Selbst die gelegentliche Portion Traumgummi nützte da nichts. Und so segelte er immer wieder durch die von Drogen aufgepeitschte See des Unterbewußtseins, in dem die Stürme heulten, die sein Verlangen nach ihr nur noch mehr schürten. Das herrliche Schiff mit dem Namen Livy; ein Bauch aus weißen Segeln, ein Leib wie eine sauber geschnittene, stromlinienförmig gebogene Hülle…
Und dann hörte er ihr Lachen; ihr wunderbares Lachen. Das war das Allerschlimmste für ihn.
Sam durchquerte sein Haus und warf einen Blick durch die Vorderfenster. Neben ihm stand der eichene Untersatz mit dem großen, selbstgeschnitzten Steuerrad. Dieser Raum hier war seine Brücke. Das Gebäude lag an einem Hang, nahe der Ebene, und stand auf dreißig Fuß hohen Pfählen. Man konnte es von unten lediglich durch eine Leiter und von der Steuerbordseite her (um einen nautischen Begriff zu gebrauchen) durch eine Pforte direkt von dem hinter ihm aufragenden Hang aus betreten. Auf dem Dach der Brücke hing eine große Glocke; wahrscheinlich die einzige metallene Glocke dieser Welt. Sobald die in der Ecke angebrachte Wasseruhr sechs anzeigte, würde Sam die Glocke läuten. Und dann würde das jetzt noch im Dunkeln daliegende Tal zu neuem Leben erwachen.
15
Obwohl noch immer der Nebel über dem Fluß hing, der gelegentlich bis an die Uferbänke heranreichte, konnte Sam dennoch die großen, pilzförmigen Gralsteine, die sich am Strand entlangzogen, erkennen. Bald darauf entdeckte er ein winziges Boot, das aus dem Nebel kam. Zwei Männer sprangen an Land und zogen den Einbaum aus dem Wasser. Dann rannten sie rechterhand davon. Aber das Sternenlicht reichte aus, um sie für Sam erkennbar zu machen, wenngleich ihn hie und da ein Gebäude in der Sicht behinderte. Die Männer umrundeten das zweistöckige Gebäude der Töpferei und hielten dann geradewegs auf das Hügelgebiet zu. Sam verlor sie aus den Augen, aber es sah ganz danach aus, als seien die beiden auf dem Weg zu John Haderlumps »Palast«.
Aber genug über das Wachsystem des Staates Parolando. Entlang des Ufers befand sich jede Viertelmeile eine auf Pfählen stehende Hütte, die mit vier Wächtern bemannt war.
Und sie hatten die strikte Anweisung, sofort Alarm zu schlagen, sobald sie etwas Verdächtiges bemerkten. Man hatte sie deswegen extra mit Trommeln, aus Knochen gefertigten Hörnern und Fackeln ausgerüstet.
Und jetzt waren zwei Männer aus dem Nebel gekommen, um König John, dem Ex-König Englands, eine Botschaft zu übermitteln?
Eine Viertelstunde später sah Sam einen weiteren Schatten durch die Dunkelheit rennen. Das dünne Seil, das an einer kleinen Glocke über dem Eingang seines
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