Faszination Menschenfresser
Abschussbefürworter, vor allem die Landesregierung, beteuerten dagegen, der Abschuss sei zwar »äußerst bedauerlich, aber objektiv unvermeidbar« gewesen, und konterten die Proteste mit der Frage, »ob man hätte warten sollen, bis jemand zu Tode kommt« oder bis Bruno »etwa ein Kind angefallen« hätte.
Die von vielen als völlig unnötig empfundene Exekution des Braunbären hatte auch einen massiven Einfluss auf das Verhalten zahlreicher deutscher Urlauber. Zahlreiche zutiefst empörte Bärenfreunde stornierten nämlich aus Protest über Brunos Hinrichtung ihren Urlaub in Bayern, und in den Internet-Gästebüchern der oberbayerischen Ferienorte waren gehäuft wütende Einträge wie etwa »Bei Mördern machen wir keinen Urlaub« zu lesen. Spötter meinten damals, der italienischstämmige Wanderbär Bruno hätte wohl dummerweise einfach den Slogan »Die Welt zu Gast bei Freunden« der zur gleichen Zeit in Deutschland stattfindenden Fußballweltmeisterschaft allzu wörtlich genommen.
Auf der anderen Seite: Auch wenn der Bär mit Migrationshintergrund in seiner Wahlheimat Gnade vor Recht gefunden hätte, so richtig wohlgefühlt hätte sich Bruno in seiner neuen Heimat wahrscheinlich nicht. In Bayern hätte er nämlich der sexuellen Enthaltsamkeit frönen müssen, die letzte deutsche Bärin wurde – wie bereits erwähnt – ja vor mehr als 170 Jahren erlegt.
Brunos Heimatland Italien erhob übrigens sofort Anspruch auf den Kadaver, der von der Bayerischen Staatsregierung aber nicht anerkannt wurde. Seit 2008 ist der mittlerweile ausgestopfte Bruno im Museum »Mensch und Natur« im Schloss Nymphenburg zu bewundern. Das Diorama, das Bruno bei einer seiner vermeintlichen Lieblingstätigkeiten, nämlich einen Bienenstock räubernd, zeigt, steht zum Schutz vor den Besuchern hinter Glas.
Übrigens waren auch andere Mitglieder von Brunos Familie nicht gerade vom Glück verfolgt. Sein jüngerer Bruder Lumpaz alias » JJ 2«, der 2005 im Engadin und in Tirol unterwegs war, gilt seit Herbst 2005 als verschwunden. Wahrscheinlich ist er einem Wilderer zum Opfer gefallen. Ein weiterer Bruder, » JJ 3«, wurde 2008 in der Schweiz zum »Problembär« erklärt, da er nach Aussage von Wissenschaftlern offenbar durch eine »frühkindliche Fehlprägung« jegliche Scheu vor dem Menschen verloren und seine Nahrung systematisch in Siedlungen gesucht hatte, wo er vor allem immer wieder Abfallcontainer geplündert hatte. Nach monatelangen vergeblichen Vergrämungsversuchen war den zuständigen Behörden das Risiko für die Menschen im Verbreitungsgebiet des Bären zu groß geworden, woraufhin » JJ 3« am 14. 04. 2008 in Mittelbünden von professionellen Jägern erschossen wurde.
Auch Jurka, die Mutter von » JJ 1«, war in den letzten Jahren in der italienischen Provinz Trentino immer wieder verhaltensauffällig geworden und hatte mehrfach Schäden in Ställen und Bienenstöcken verursacht. Eine Tötung von Jurka wurde jedoch nie erwogen, da sie nie aggressiv gegenüber Menschen auftrat. Da die Bärin ihr Verhalten jedoch auch nach Durchführung der üblichen Vergrämungsmaßnahmen, wie etwa dem Einsatz von Knallkörpern oder einem Beschuss mit Gummischrot, nicht änderte, wurde sie schließlich eingefangen und in einem Gehege untergebracht.
In Europa greifen Braunbären Menschen nur sehr selten an. In der Regel versuchen die Tiere Begegnungen mit Menschen zu vermeiden. Trotzdem kam es auch in Europa vereinzelt zu Todesfällen, die allerdings meist auf unvorsichtiges Verhalten oder Provokationen seitens der Menschen zurückzuführen waren. Denn natürlich wird eine Bärin ihre Jungen oder ein männlicher Bär sein Revier gegenüber als zudringlich empfundenen Menschen mit allen Mitteln verteidigen.
So wird aus Rumänien, wo mit geschätzten 5000 bis 6000 Individuen Europas größte Braunbärenpopulation lebt, immer wieder von Angriffen auf Menschen berichtet. Vor allem in den Südkarpaten lockt die Aussicht auf leicht zugängliche Nahrung in Form von Essensresten in Mülltonnen die Bären immer häufiger nicht nur in die Nähe der Städte, sondern sogar in die Städte selbst. Es ist nachvollziehbar, dass die Scheu vor dem Menschen hier mit der Zeit einer zunehmenden Gewöhnung weicht. Verstärkt wird die Problematik der »Müllbären« noch zusätzlich durch windige Geschäftemacher, die die Bären gezielt anfüttern, um Touristen gegen eine entsprechende Entlohnung zu eindrucksvollen Urlaubsfotos zu verhelfen.
Gelegentlich kommt
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