Fata Morgana
nicht denken, dass wir allzu interessiert sind.«
»Tja, wahrscheinlich hast du Recht. Dann vielleicht heute Abend.«
Stephen ging in die Bibliothek.
Miss Marple, die in ihrer Rolle als mobiles Publikum langsam in der Halle umherging, stieß mit Alex Restarick zusammen, als dieser plötzlich einen Schritt zurücktrat. »Oh, Entschuldigung«, sagte Miss Marple.
Alex sah sie stirnrunzelnd an und sagte zerstreut: »Pardon.« Und dann überrascht: »Ach, Sie sind's.«
Miss Marple fand, dass das eine seltsame Bemerkung war von jemandem, mit dem sie sich kurz zuvor eine ganze Weile unterhalten hatte.
»Ich hab gerade an etwas anderes gedacht«, sagte Alex Restarick. »Dieser Ernie –« Er machte undefinierbare Gesten mit beiden Händen.
Dann gab er sich plötzlich einen Ruck, durchquerte die Halle, ging durch die Bibliothekstür und zog sie hinter sich zu.
Hinter der geschlossenen Tür hörte man leise Stimmen, aber Miss Marple achtete kaum darauf. Sie interessierte sich nicht für den vielseitigen Ernie und dafür, was er gesehen oder angeblich gesehen hatte. Sie argwöhnte scharfsinnig, dass Ernie überhaupt nichts gesehen hatte. Kein Sekunde lang glaubte sie, dass Ernie sich in einer nasskalten, nebligen Nacht wie der letzten die Mühe gemacht hätte, seine Fähigkeiten als Schlossknacker anzuwenden, nur um in den Park zu gelangen. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte er das College in der Nacht gar nicht verlassen. Pure Angeberei.
»Wie Johnnie Backhouse«, dachte Miss Marple, die aus einem großen Vorrat an Parallelfällen schöpfen konnte, den sie den Einwohnern von St. Mary Mead verdankte.
»Ich hab Sie letzte Nacht gesehen.« Mit dieser hinterhältigen Bemerkung hatte Johnnie Backhouse alle belästigt, bei denen er sich eine entsprechende Reaktion versprach.
Es war ein erstaunlich erfolgreicher Trick gewesen. So viele Menschen, überlegte Miss Marple, sind an Orten gewesen, wo sie um keinen Preis hätten gesehen werden wollen!
Sie dachte nicht mehr an Johnnie und konzentrierte sich auf ein vages Etwas, das Alex mit seinem Bericht über die Bemerkungen von Inspektor Curry halb wachgerufen hatte. Diese Bemerkungen hatten Alex auf eine Idee gebracht. Sie konnte nicht ausschließen, dass auch sie dadurch auf eine Idee gekommen war. Dieselbe Idee? Oder eine andere?
Sie stellte sich an die Stelle, wo Alex Restarick gestanden hatte. »Das ist keine reale Halle«, dachte sie bei sich. »Das ist alles nur Pappe und Leinwand und Holz. Das ist ein Bühnenbild...« Allerlei bruchstückhafte Wendungen gingen ihr durch den Kopf. »Illusion –« »In den Augen des Zuschauers.« »Die machen das mit Spiegeln...« Goldfischgläser – meterweise farbige Bänder – verschwundene Damen – das ganze Instrumentarium und die Ablenkungsmanöver der Zauberkünstler...
Irgendetwas regte sich in ihrem Bewusstsein. Ein Bild. Etwas, was Alex gesagt hatte – etwas, was er ihr beschrieben hatte – Constable Dodgett keuchend und schnaufend... Keuchend... Etwas klickte in ihrem Kopf, wurde auf einmal deutlich und scharf...
»Aber natürlich!«, sagte Miss Marple. »Das ist es...«
Achtzehntes Kapitel
I
» A ch, Wally. Hast du mich erschreckt!«
Gina, die aus dem Schatten neben dem Theater auftauchte, prallte ein Stück zurück, als die Gestalt von Walter Hudd sich im Dämmerlicht abzeichnete. Es war noch nicht ganz dunkel, aber es herrschte jenes unheimliche Zwielicht, in dem die Gegenstände ihre Realität verlieren.
»Was machst du denn hier? Du kommst doch sonst nie in die Nähe des Theaters.«
»Vielleicht habe ich dich gesucht, Gina. Normalerweise bist du ja hier am ehesten zu finden.«
Wallys weicher Singsang hatte keinen bestimmten Unterton, und doch zuckte Gina ein wenig zusammen.
»Es ist eine Arbeit, und ich mache sie gern. Ich mag die Atmosphäre von Farbe und Leinwand. Überhaupt bin ich gern hinter den Kulissen.«
»Ja. Es bedeutet dir viel. Das ist mir klar geworden. Sag mir, Gina, was meinst du, wie lange es noch dauert, bis diese Geschichte sich aufklärt?«
»Morgen findet die gerichtliche Untersuchung statt. Es kann höchstens noch vierzehn Tage oder so dauern. Das hat uns zumindest Inspektor Curry zu verstehen gegeben.«
»Vierzehn Tage«, sagte Wally nachdenklich. »Aha. Vielleicht drei Wochen. Und dann – sind wir frei. Dann gehe ich in die Staaten zurück.«
»Aber ich kann doch nicht einfach alles stehen und liegen lassen«, rief Gina. »Ich kann Grandam nicht verlassen. Außerdem
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