Fatal Error
eigentlich nicht für mich behalten. Andererseits hatte ich Guy mein Wort gegeben. Nur deshalb war er überhaupt mit der Sprache herausgerückt.
Ich überlegte, wie es praktisch aussehen würde, Anzeige zu erstatten. An wen sollte ich mich wenden? Würde mir bei der britischen Polizei überhaupt jemand in einem Fall helfen, der dreizehn Jahre zurücklag? Sollte ich die Polizeidienststelle in Beaulieu anrufen? Oder dorthin fahren? Ich müsste mich an die französischen Behörden wenden, um herauszufinden, wer sich dafür interessierte, was ich zu berichten hatte. Ich müsste einen persönlichen Kreuzzug für die Gerechtigkeit beginnen.
Und was würde geschehen? Ich müsste bei Ninetyminutes aufhören. Guy würde Schwierigkeiten bekommen, sich weiterhin ausreichend um die Leitung der Firma zu kümmern, besonders, wenn sich die französische Polizei entschlosse, den Fall wieder aufzurollen. Und ich wäre an allem schuld. Natürlich würde ich mir einen neuen Job suchen müssen, wahrscheinlich als Banker oder, noch schlimmer, als Buchhalter. Und die Freundschaft mit Guy, die mir trotz allem, was Owen getan hatte, noch immer wichtig war, wäre dahin.
Ich beschloss, mein Wort zu halten.
Schließlich schlief ich ein. Am nächsten Morgen um halb neun saß ich an meinem Schreibtisch, offen für alles, was Ninetyminutes für mich bereithielt.
TEIL VIER
März 2000, drei Monate später, Clerken-well, London
»Hundertachtzig Millionen! Sie glauben, Ninetyminutes ist hundertachtzig Millionen wert?«
Die Amerikanerin erwiderte Guys ungläubigen Blick ungerührt.
»Absolut.«
»Pfund oder Dollar?«
»Pfund.«
»Wow.«
Ich teilte Guys Empfindungen. Wir saßen im Vorstandszimmer: außer Guy und mir noch Henry Broughton-Jones und zwei Vertreter von Bloomfield Weiss, einer großen amerikanischen Investmentbank, die sich in den Staaten auf dem Technologiemarkt engagierte und die dort gesammelten Erfahrungen nun in Europa nutzen wollte. Während der letzten zwei Monate waren wir von Bankern förmlich belagert worden. Alle wollten sie Ninetyminutes zum Börsengang bewegen. Dazu war die Zulassung unserer Aktien am London Stock Exchange und am Neuen Markt in Frankfurt erforderlich. Als Emissionsbank, unter deren Ägide unser Börsengang stattfinden sollte, hatten wir uns Bloomfield Weiss ausgesucht.
Die beiden Investmentbanker waren ungefähr so alt wie wir. Der eine, ein aalglatter Brite mit ölig zurückgekämmtem Haar und permanent gerunzelter Stirn, führte das Wort. Seine Begleiterin, eine gepflegte Amerikanerin mit ebenso dauerhaft gerunzelter Stirn, war Analystin. Sie stand in dem Ruf, in den Vereinigten Staaten New-Economy-Aktien sehr erfolgreich platziert zu haben, und schickte sich nun an, das Gleiche diesseits des Atlantiks zu tun.
»Wie kommen Sie auf diese Zahl?«, fragte ich. »Letzte Woche haben Sie noch von hundertdreißig Millionen gesprochen.«
»Der Markt ist heiß«, sagte die Analystin. »Die smarten US-Anleger, die in den letzten zwölf Monaten mit dem Internet in den Vereinigten Staaten Riesengewinne eingesackt haben, schauen sich jetzt bei Ihnen nach Investitionsmöglichkeiten um. Einzelne britische Anleger sind auch schon vom Internet-Fieber angesteckt, die Umsätze schießen in die Höhe, und überall gibt es heiße Tipps. In zwei Wochen geht Lastminute.com mit einer Bewertung von dreihundertfünfzig Millionen an die Börse. Alle schreien nach Aktien. Hundertachtzig Millionen für Ihr Unternehmen ist machbar. Durchaus machbar. Vielleicht ist noch mehr drin.«
»Und wieviel Geld können wir dadurch aufnehmen?«
»Ich denke, wir können vierzig Millionen kriegen. Einen Teil der Publikumsnachfrage wollen wir nicht befriedigen, damit die Aktie am ersten Tag nach oben geht. Es ist wichtig, dass wir einen Aufwärtstrend haben. Heutzutage kaufen Investoren Aktien, nur weil sie nach oben gehen. Das ist ein sich selbst verstärkender Kreislauf, den wir in Gang setzen müssen.«
»Aber keine meiner Prognosen lässt darauf schließen, dass wir je in der Lage sein werden, Gewinne einzufahren, die solche Zahlen rechtfertigen«, sagte ich.
»Macht nichts«, sagte der Banker. »Wir dürfen Ihre Prognosen den Investoren sowieso nicht zeigen. Machen Sie sich keine Sorgen. Diese Leute sind clever. Sie wissen, was sie tun.«
»Wirklich? Sehr clever klingt das Ganze für mich nicht.«
Das Stirnrunzeln des Bankers vertiefte sich. »Sie müssen eine großartige Geschichte erzählen, David. Und Sie werden sie oft
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