Fatal - Roman
sich.
»Ein bewaffneter Einbrecher ist heute Abend in mein Haus eingedrungen. Er hat versucht, mich und meinen Sohn zu töten. Ich habe ihn in Notwehr umgebracht.« Sie spürte, wie sich ihr die Kehle zuschnürte. Sie konnte ihren eigenen Worten nicht glauben. Noch nie im Leben hatte sie einen Menschen verletzt - und heute hatte sie jemanden getötet. »Der Einbrecher hat eine Frau namens Carol Braverman umgebracht. Er hat auch meinen Sohn verletzt. Er ist drei Jahre alt und blutet hinter dem Ohr. Ich brauche sofort einen Krankenwagen und die Polizei.«
»Habe ich Sie richtig verstanden, zwei Menschen sind getötet worden?«
»Hören Sie. Mein Sohn braucht dringend einen Arzt. Der Einbrecher hat ihn auf den Kopf getreten. Jetzt blutet er. Ich mache mir große Sorgen.«
»Mama!« Will weinte so laut, dass Ellen Schwierigkeiten hatte, die Frau aus der Notrufzentrale zu verstehen.
»Sorgen Sie dafür, dass er wach bleibt. Die Ambulanz ist bald bei Ihnen. Sie können bis dahin in der Leitung bleiben.«
»Mama! Mama!«, schrie Will herzzerreißend.
»Das muss nicht sein. Aber bitte, beeilen Sie sich.« Ellen legte auf und drückte Will fest an sich. Sie wiegte ihn wie ein Baby. Seine Tränen versiegten. Mit einem frischen Taschentuch trocknete sie sein Gesicht, ein anderes legte
sie auf die Wunde hinter dem Ohr. »Wo tut’s dir weh, mein Schatz?«
»Mein Kopf tut weh.«
Nein. Bitte nicht. »Deshalb fahren wir zum Doktor, damit er dir helfen kann.«
»Zu Dr. Chodoff?«
»Nein, zu einem anderen.«
»Ich will zu Dr. Chodoff.« Will schluchzte.
»Wir ziehen dich jetzt mal aus.« Auch zu ihrer eigenen Beruhigung beschrieb sie ihm laut jede ihre Tätigkeiten. Sie ging mit ihm zum Kleiderschrank, nahm seine Kapuzenjacke vom Haken, setzte sich wieder mit ihm auf die Couch und steckte seine Arme in die Ärmel. Seine Turnschuhe stanken nach Benzin. Sie zog sie ihm aus.
»Puh, die stinken aber.« Will nickte. Sein kleiner Brustkorb bebte. Vorsichtig betastete sie die Haut hinter seinem Ohr. Eine tiefe Wunde. Hoffentlich war es kein Schädelbruch. Sie presste ein neues Taschentuch auf die Wunde.
»Mama, was ist?«
»Du hast eine Wunde hinterm Ohr. Deshalb müssen wir zum Doktor fahren.«
»Wer war der Mann?«
»In der Küche? Das war ein ganz, ganz böser Mann. Aber er kann dir jetzt nicht mehr wehtun.«
»Hat er dir wehgetan, Mama?«
»Nein. Mir geht’s gut. Und dir geht’s auch bald wieder gut.« Ellen drückte ihn an sich. Mit der Faust rieb er sich die Augen.
»Mein Kopf tut weh.«
»Du musst wach bleiben, Schatz. Versprichst du mir das?« Ellen redete und redete, damit er nicht einschlief.
Ein Taschentuch nach dem anderen sog sich mit dem Blut aus seiner Wunde voll. Sie sahen ein wenig wie die Papier-Mohnblumen aus, die er im Kindergarten bastelte. Die Blutung ließ allmählich nach, aber das beruhigte sie nicht. Oreo Figaro kam hereinspaziert und setzte sich vor die Couch.
Will schniefte. »Du hast Oreo Figaro wehgetan, Mama.«
»Aber nein. Das macht ihm nichts aus.«
»Du hast ihn geschmeißt.«
»Ich weiß.« Ellen korrigierte ihn nicht. Er durfte heute so viele Fehler machen, wie er wollte.
»Das war nicht nett von dir.«
»Du hast recht.« Ellen beugte sich zu dem Kater hinunter. »Es tut mir leid, Oreo Figaro.«
Der Kater sah auf und blinzelte ihr zu, womit er wohl andeutete, dass er ihr verzieh. Aber er ließ Mutter und Sohn nicht aus den Augen, bis die Streifenwagen vorfuhren, die ihm mit ihrem Blaulicht Angst einjagten.
»Wer ist das, Mama?«, fragte Will und hob den Kopf.
»Das ist die Polizei. Sie wird uns helfen.« Ellen stand auf und sah zum Fenster hinaus. Polizeiwagen hielten vor dem Haus, ihre Auspuffgase stiegen in Schwaden in die kalte Luft. Die hellen Scheinwerfer zerschnitten die Dunkelheit. Uniformierte Polizisten sprangen aus den Autos, dunkle Gestalten im weißen Schnee.
»Da kommen sie, Mama.«
»Ja, da kommen sie.« Ellen ging zur Tür, um die Männer hereinzulassen.
Denn sie kamen, um Will zu retten - und das einzige Leben, das er kannte, zu zerstören.
78
Ellen öffnete die Haustür, und sofort waren die Polizisten überall - im Wohnzimmer, in der Küche, im Flur und im Esszimmer. Draußen suchten ihre Kollegen mit Taschenlampen Vorgarten und Hinterhof ab. Will hatte sich beruhigt. Mit großen Augen bestaunte er einen älteren Polizisten mit Nickelbrille.
»Ich bin Officer Patrick Halbert«, sagte er. Schneeflocken bedeckten seine Nylonjacke. »Haben Sie den
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