FBI: Die wahre Geschichte einer legendären Organisation (German Edition)
hatte. Auf dem Papier hatte Freeh der Terrorabwehr 1300 Agenten und ebenso viele Auswerter und sonstige Mitarbeiter zugewiesen. Doch der Schein trog, in Wirklichkeit war die Truppe nicht annähernd so stark.
Die 56 Außendienststellen des FBI sollten Terrorabwehrstrategien entwickeln und das Hauptquartier auf dem Laufenden halten. Bereichsleiter arbeiteten dort die Berichte von den Außenstellen in eine Fünfjahresstrategie ein. Abteilungsleiter sollten die Ergebnisse dieser Berichte übernehmen und den Direktor informieren. Der Direktor würde dann den ultimativen Strategieplan entwerfen. Das FBI arbeitete seit dem Anschlag auf das World Trade Center an diesem Strategieplan. Vorgelegt wurde er nie.
Watson zog Richard Clarke ins Vertrauen, den Terrorabwehrchef im Weißen Haus. Clarke arbeitete rund um die Uhr. Er war schon mit vierzig ergraut, seine Haut bleich. Er sah aus, als hätte er zehn Jahre lang in einem Atombunker gelebt und auf den Abwurf der Bombe gewartet. Das war nicht ganz falsch. Clarke hatte Oliver Norths altes Büro in der Suite des Nationalen Sicherheitsrats neben dem Weißen Haus übernommen. Ein Schild auf dem Sims des Kamins aus dem 19. Jahrhundert trug den Satz: GLOBAL DENKEN/LOKAL HANDELN. Clinton gab ihm einen Titel, der seiner Verantwortung gerecht wurde: nationaler Koordinator für Terrorabwehr.
Clarke versuchte, alles vom Pentagon bis hinunter zur Polizei zu koordinieren. Er wollte die Terrorangst in den Vereinigten Staaten auf das richtige Maß anheben. Ihm war wichtig, die Amerikaner vor einem Anschlag zu schützen – ein Ziel, das er »fast als vorrangige Verantwortung der Regierung« auffasste. Aber er glaubte nicht recht, dass ihm Freeh bei dieser Mission helfen konnte. Er fand, dem FBI fehle ein Konzept gegen die terroristische Bedrohung Amerikas. »Sie haben uns nie Analysen geliefert, auch nicht wenn wir darum gebeten haben«, sagte er. »Ich glaube nicht, dass wir während dieser zehn Jahre angesichts der Vorgänge in diesem Land überhaupt eine analytische Kompetenz besaßen.« [607]
Clarke zufolge hätte »Freeh seine Zeit darauf verwenden sollen, das Chaos, das mittlerweile beim FBI herrschte, zu ordnen: eine Organisation mit 56 Fürstentümern, ohne Unterstützung durch moderne Informationstechnologie. Er hätte mehr Zeit darauf verwenden können, Terroristen in den Vereinigten Staaten aufzuspüren, wo Al-Qaida und ihr nahestehende Organisationen Wurzeln geschlagen hatten.« Stattdessen spielte er Chefermittler in Sachen Khobar Towers und chinesische Spione. Aber Clarke meinte, dass »seine [Freehs] Beteiligung dazu beizutragen schien, dass die Fälle im Sande verliefen«.
Watson kam zu einem härteren Schluss. Gegenüber Clarke sagte er: »Wir müssen das FBI zertrümmern und wieder neu aufbauen.« [608]
»Ich wollte dem Bureau schaden«
Der Direktor suchte das zu verhindern.
Die Serie der Kalamitäten, mit denen Freeh konfrontiert war, riss nicht ab, als Präsident Clinton am 20. Januar 1997 seine zweite Amtszeit antrat. Sein Zerwürfnis mit dem Weißen Haus war jetzt nicht mehr zu kitten. Freeh sprach beinahe vier Jahre lang überhaupt nicht mehr mit dem Präsidenten.
Justizministerin Reno stellte öffentlich und privat klar, dass Freeh ihr Vertrauen verloren hatte. Der Bruch erfolgte in der Woche vor Clintons Wiederwahl, als der für Gewaltverbrechen zuständige Bereichsleiter des FBI sich der Behinderung der Justiz schuldig bekennen musste. Er war der höchstrangige FBI-Mann, der je wegen einer schweren Straftat hinter Gittern saß. Er hatte Dokumente über die Tötung der Frau eines militanten Rechtsextremisten durch ein Geiselbefreiungsteam vernichtet. In der Provinzstadt Ruby Ridge in Idaho hatte ein FBI-Scharfschütze die Frau erschossen, die ihre elf Monate alte Tochter im Arm hielt. Es lag kein Haftbefehl gegen sie vor. Sie wurde nicht wegen einer Straftat gesucht. Freeh musste eingestehen, dass das FBI gegen die Verfassung verstoßen hatte, indem es seinen Agenten erlaubte, bei Sichtkontakt zu schießen. In einer Anwandlung von Tugendhaftigkeit zerstörte Freeh daraufhin die Karriere seines Stellvertreters, mit dem er einmal gut befreundet gewesen war, weil er das Team in diese ausweglose Situation geschickt hatte.
Freeh hatte den Bogen inzwischen selbst überspannt. Er bezichtigte den Präsidenten der Lüge, und in den vier Jahren der Ermittlungen gegen Wahlkampfspender und korrupte Politiker, die versucht hatten, Clinton zu beeinflussen,
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