Fear
Joe sah den Schmerz in ihren Augen aufblitzen. »Sie sagte, du seist in einen sehr heiklen Fall involviert. Ich nehme an, damit meinte sie einen Undercover-Auftrag?«
»Ja. Es dauerte fast ein Jahr. Aber ich fand es schlimm, dass ich nicht zur Beerdigung kommen konnte. Roy war mir ein sehr guter Freund und Mentor.«
Diana runzelte die Stirn. »Augenblick mal. Wieso fragst du nach Helen? Das klingt ja so, als wärt ihr gar nicht mehr zusammen.«
»Sind wir auch nicht«, entgegnete Joe. »Ich habe sie seit vier Jahren nicht mehr gesehen.«
»Aber Bristol ist doch gar nicht so weit …«
Er schüttelte den Kopf. »Es ist noch viel komplizierter.«
Die ganze Geschichte hatte er erst einmal erzählt vor über einem Jahr, und zwar einer Frau, für die er als Leibwächter gearbeitet hatte – und das auch nur, weil er im Begriff stand, diesen Job aufzugeben, und wusste, dass er sie nie wiedersehen würde. In diesem Sinne waren seine Geheimnisse bei ihr gut aufgehoben: Cassie hatte keine Ahnung, wer er wirklich war oder wohin er als Nächstes gegangen war. Nach menschlichem Ermessen konnte nichts von dem, was er ihr erzählt hatte, ihm oder ihr schaden.
Diesmal lagen die Dinge ganz anders. Diana war eine Freundin aus seinem früheren Leben. Aus den Tagen, als er nur Joe Clayton gewesen war und niemand sonst. Was er ihr jetzt erzählte, würde in ihre Zukunft weitergetragen werden, ebenso wie in seine, und es könnte ernsthafte Konsequenzen für sie beide haben.
Und doch sah er kaum eine Möglichkeit, ihr irgendetwas vorzuenthalten. Es gab einfach zu vieles, was er nicht erklären konnte, ohne sich in hanebüchene Lügen zu flüchten, und sie war zu lange die Frau eines Polizisten gewesen, als dass er sie hätte für dumm verkaufen können.
»Die Undercover-Arbeit hat unsere Ehe zerstört«, sagte er. »Und ganz speziell der Auftrag, der mich daran gehindert hat, zu Roys Beerdigung zu kommen.«
»Das überrascht mich nicht, wenn es ein ganzes Jahr gedauert hat. Helen war doch sicher außer sich vor Sorge.«
»Das war sie, auch wenn sie damals noch nicht die ganzen Details kannte.«
Joe hielt inne. Scharfsinnig bemerkte Diana: »Ich habe vollstes Verständnis, wenn es Dinge gibt, die du mir nicht sagen kannst.«
»Okay. Ich musste eine Bande infiltrieren, die einen großen Goldbarrenraub plante. Das Problem war nur: Bis es mir endlich gelungen war, in ihren innersten Kreis vorzudringen, waren sie argwöhnisch bis hin zur Paranoia. Ich musste praktisch jeglichen Kontakt zu meinen Vorgesetzten und dem Verstärkungsteam abbrechen.«
Diana sah ihn betroffen an. »Helen sagte immer, du seist süchtig nach Gefahr. Sie erzählte mir einmal, sie habe immer wieder diesen Alptraum, in dem du bei einem Einsatz ums Leben kommst. Aber ich schätze mal, dass du das nie ernst genommen hast, genauso wenig wie Roy, wenn ich mir Sorgen um ihn gemacht habe, oder?«
Joe nickte reumütig. »Ich habe seitdem viel Zeit gehabt, das zu bedauern, glaube mir.«
Er setzte seine Erzählung fort. Der abgebrochene Kontakt hatte zur Folge gehabt, dass er nicht in der Lage war, dem Team, das den Raubüberfall vereiteln sollte, entscheidende Informationen zukommen zu lassen. Mit der Folge, dass die Operation in einem Desaster endete.
»Ein Polizist wurde getötet, zwei weitere schwer verletzt. Vier Bandenmitglieder starben, darunter auch der Sohn des Anführers.«
Er hielt wieder inne. Diana sagte: »Es ist schon in Ordnung. Du muss nicht sagen, wer es ist.«
»Aber ich finde, du solltest es wissen. Der Anführer der Bande war Doug Morton.«
10
Bis zu dem Moment, als er Mortons Namen aussprach, war Joe sich nicht absolut sicher gewesen, ob er es ihr sagen würde. Und nachdem er ihn ausgesprochen hatte, war er sich nicht absolut sicher, ob es richtig gewesen war.
Diana schlug sich die Hand vor den Mund. »Du lieber Gott. Ich erinnere mich noch an die Meldung in den Nachrichten. Und Roy kannte ihn noch von ganz früher. Eine Bestie, hat er damals gesagt …«
»Die ganze Familie besteht nur aus Bestien. Doug Morton kam ins Gefängnis, aber er verkündete, dass auf meinen Kopf eine Belohnung ausgesetzt sei. Man bot mir eine neue Identität an, und dann musste ich monatelang in einer sicheren Wohnung vor mich hin schmoren, während eine interne Ermittlung durchgeführt wurde. Schließlich teilten sie mir mit, dass ich nicht vor Gericht gestellt würde, aber auch nicht länger im Polizeidienst willkommen sei.«
»Ach, Joe.« Diana starrte
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